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Рассказ «Держись!» (Schwarzfahrt) на немецком языке – Джек Лондон

Рассказ «Держись!» (Schwarzfahrt) на немецком языке – читать онлайн, автор книги – Джек Лондон. Книга «Держись!» (Schwarzfahrt) входит в сборник рассказов Джека Лондона «Дорога». Это цикл автобиографических рассказов, которые были написаны в период бродяжничества Джека Лондона по Америке. Эти рассказы не являются такими известными, как, к примеру, «Мартин Иден», «Морской волк» и другие популярные произведения  (и которые впоследствии были переведены на многие самые распространённые языки мира).

Остальные рассказы, повести и романы, которые написал Джек Лондон, а также много других литературных произведений известных писателей можно читать онлайн в разделе «Книги на немецком» (для детей создан раздел «Сказки на немецком»).

Для тех, кто самостоятельно изучает немецкий язык по фильмам, создан раздел «Фильмы на немецком языке» (для детей есть раздел «Мультфильмы на немецком»).

Для тех, кто хочет учить немецкий язык не только самостоятельно, но и с преподавателем, есть информация на странице «Немецкий по скайпу».

 

Теперь переходим к чтению рассказа «Держись!» (Schwarzfahrt) на немецком языке, автор – Джек Лондон.

 

Schwarzfahrt

 

Von widrigen Zufällen abgesehen, kann ein geschickter Tramp, der jung und behende ist, schwarz mitfahren, trotz aller Bemühungen des Zugpersonals, ihn abzuschütteln. Natürlich muß es Nacht sein - das ist eine entscheidende Voraussetzung. Wenn solch ein Landstreicher unter solchen Bedingungen sich entschließt schwarzzufahren, dann tut er es eben, oder er hat Pech. Praktisch hat das Zugpersonal keine Möglichkeit, ihn abzuschütteln, es sei denn, sie schrecken vor einem Mord nicht zurück. Daß die Bahnbeamten nicht vor einem Mord zurückschrecken, wird unter Vagabunden allgemein angenommen. Da ich aber diese Erfahrung in meinen Landstreichertagen nicht gemacht habe, kann ich mich dafür nicht verbürgen.

Soviel aber weiß ich von »schlechten« Strecken: Hat sich der Tramp erst mal »runtergeklemmt«, unten auf die Achsen, und ist der Zug in Fahrt, kann man ihn im Grunde genommen nicht eher vertreiben, bis der Zug hält. Der Tramp, der es sich unter dem Waggon sozusagen gemütlich gemacht hat, eingerahmt von den vier Rädern und dem Untergestell, hält das Personal zum besten - wenigstens bildet er sich das ein, bis er eines Tages auf einer schlechten Strecke fährt. Unter einer schlechten Strecke versteht man gewöhnlich eine, auf der vor kurzem einer oder mehrere Bahnbeamte von Tramps umgebracht worden sind. Der Himmel sei dem Landstreicher gnädig, der auf solch einer Strecke »unten« gefaßt wird - und gefaßt wird er, selbst wenn der Zug sechzig Meilen die Stunde fährt.

Der Bremser nimmt einen Kupplungsbolzen und ein Stück Signalleine und stellt sich damit auf die vordere Plattform des Waggons, unter dem der Tramp mitfährt. Der Bremser befestigt den Bolzen an der Leine, läßt ihn zwischen den Puffern herab und gibt mit der Leine nach. Der Bolzen schlägt auf die Schwellen zwischen den Schienen auf, prallt gegen den Waggonboden und schlägt wieder auf die Schwellen. Der Bremser hält die Leine mal kurz, mal lang, schwingt sie bald nach rechts, bald nach links, zieht sie an und läßt nach und ermöglicht seiner Waffe, an jeder nur denkbaren Stelle aufzuschlagen und zurückzuprallen. Jeder Aufprall des fliegenden Kupplungsbolzens kann den Tod bringen, und bei sechzig Meilen die Stunde ist das ein wahrer Zapfenstreich des Todes. Am nächsten Tag sammelt man die Überreste des Tramps auf der Strecke zusammen, und in der Lokalzeitung erscheint eine Notiz, daß ein Unbekannter, zweifelsohne ein Landstreicher, vermutlich betrunken, höchstwahrscheinlich auf den Gleisen eingeschlafen war.

Als ein charakteristisches Beispiel, wie ein geschickter Landstreicher schwarzfahren kann, will ich folgendes Erlebnis zum besten geben. Ich war in Ottawa und wollte mit der Canadian-Pacific nach, Westen. Dreitausend Meilen dieser Strecke lagen vor mir. Es war Herbst, und ich mußte Manitoba durchqueren und über die Rocky Mountains. Es war mit Frostwetter zu rechnen, und jede Verzögerung vergrößerte die Unannehmlichkeiten der Kälte auf dieser Reise. Hinzu kam, daß ich schlecht gelaunt war. Die Entfernung zwischen Montreal und Ottawa beträgt einhundertundzwanzig Meilen. Das mußte ich wissen, denn ich hatte die Strecke gerade hinter mir und sechs Tage dafür gebraucht. Aus Versehen hatte ich die Hauptlinie verfehlt und war auf eine klein Nebenstrecke geraten, auf der nur zwei Züge am Tag verkehren. Und während dieser sechs Tage hatte ich nur von trockenen Brotkrusten gelebt, die nicht mal reichten und die ich von französischen Bauern erbettelt hatte.

Außerdem hatte sich meine schlechte Laune durch den einen Tag verstärkt, den ich in Ottawa zubringen mußte, um mir für die lange Reise passende Kleidung zu beschaffen. Ich möchte hier auf jeden Fall festhalten, daß, von einer Ausnahme abgesehen, Ottawa die ungünstigste Stadt in den Vereinigten Staaten und Kanada ist, um Kleider zu erbetteln. Diese eine Ausnahme ist Washington. Denn diese schöne Stadt ist der Höhepunkt. Ich habe dort zwei Wochen zugebracht, um ein Paar Schuhe zu erbetteln, und mußte dann noch bis nach Jersey ziehen, ehe ich sie bekam.

Doch kehren wir nach Ottawa zurück. Punkt acht Uhr morgens machte ich mich nach Kleidung auf den Weg. Ich mühte mich den ganzen Tag lang ab. Ich könnte schwören, daß ich an die vierzig Meilen lief. Ich versuchte es bei den Hausfrauen in mindestens tausend Häusern. Ich gönnte mir nicht mal die Zeit für ein Mittagessen. Und um sechs Uhr abends, nach zehnstündiger unerbittlicher und niederdrückender Plackerei, fehlte mir immer noch ein Hemd, während die Hosen, die ich ergattert hatte, zu eng waren und außerdem alle Anzeichen eines baldigen Zerfalls aufwiesen.

Um sechs Uhr ließ ich von dieser Arbeit ab und machte mich nach dem Bahnhof auf, wobei ich hoffte, unterwegs noch etwas Eßbares aufzutreiben. Aber ich wurde noch immer vom Pech verfolgt. In einem Haus nach dem anderen wurde meine Bitte nach Essen abgeschlagen.

Dann endlich erhielt ich etwas herausgereicht. Meine Lebensgeister erwachten, denn es war das größte Paket, das mir je in meiner langen und abwechslungsreichen Laufbahn vorgekommen ist. Es war in Zeitungspapier gewickelt und so groß wie ein ausgewachsener Handkoffer. Ich rannte zu einer unbebauten Stelle und öffnete es.

Zuerst sah ich Kuchen, dann noch mehr Kuchen, alle Sorten und Arten von Kuchen, immer wieder Kuchen. Nichts als Kuchen. Keine Butterbrote, dick mit Wurst belegt - nichts als Kuchen. Und das mußte mir passieren, mir, den man mit Kuchen jagen kann! Zu anderen Zeiten und unter anderem Himmel setzte man sich an den Wassern von Babylon nieder und weinte. Und auf einem unbebauten Platz in Kanadas stolzer Hauptstadt ließ l ich mich ebenfalls nieder und weinte ... über einen Berg Ku chen. So wie jemand in das Antlitz seines gestorbenen Sohnes blickt, so blickte ich auf diese Fülle von Konditorware. Ich war wohl ein sehr undankbarer Tramp, denn ich weigerte mich, an der Freigebigkeit des Hauses teilzuhaben, in dem am Abend vorher eine Party stattgefunden hatte. Wie es schien, hatten sich die Gäste auch nichts aus Kuchen gemacht.

Dieser Kuchen war der Wendepunkt in meinem Geschick. Schlimmer konnte es nicht kommen; es mußte einfach wieder aufwärtsgehen, und es ging aufwärts. Schon beim nächsten Haus wurde ich aufgefordert hereinzukommen. Eine Einladung zum Reinkommen ist das höchste Glück. Man geht mit hinein, erhält oft die Möglichkeit, sich zu waschen, und darf sich dann mit an den Tisch setzen. Ein Tramp genießt es, die Beine unter einen gedeckten Tisch zu strecken. Das Haus war groß und anheimelnd; es lag in einem weitläufigen Garten inmitten schöner Bäume und nicht zu dicht an der Straße. Die Leute waren gerade mit dem Essen fertig, und ich wurde gleich ins Speisezimmer geführt. Schon allein das kommt höchst selten vor, denn der Tramp, der das Glück hat, zu einer Mahlzeit ins Haus gebeten zu werden, bekommt sie meist in der Küche serviert. Ein grauhaariger, angenehmer Engländer, dessen füllige Frau und eine schöne junge Französin unterhielten sich mit mir, während ich aß.

Ich möchte wissen, ob jene schöne junge Französin sich noch heute, nach so langer Zeit, daran erinnert, wie ich sie zum Lachen brachte, als ich den burschikosen Ausdruck »Mücken« gebrauchte. Ich versuchte nämlich, sie wegen einer kleinen Spende anzuzapfen. Deswegen tauchte eben das spaßige Wort für Geld auf.

»Was?« sagte sie. »'n paar Mücken«, erwiderte ich. Ihre Mundwinkel zuckten, als sie wieder fragte: »Was?« »'n paar Mücken«, meinte ich. Daraufhin brach sie in Gelächter aus.

»Sagen Sie das noch einmal«, entgegnete sie, als sie sich wieder beruhigt hatte, »'n paar Mücken«, sagte ich. Abermals brach sie in ein unwiderstehliches, silberhelles Lachen aus.

»Entschuldigen Sie«, war ihre Erwiderung, »aber was ..., was haben Sie da eben gesagt?« »'n paar Mücken«, wiederholte ich, »was ist denn dabei?«

»Weiß ich auch nicht«, gluckste sie zwischen neuen Lachanfällen, »bloß, was soll das bedeuten?«

Ich erklärte es ihr. Aber ich weiß nicht mehr, ob ich damals aus ihr 'n paar Mücken herauskriegte oder nicht. Doch ich habe mich seit dem oft gefragt, wer von uns beiden begriffsstutzig war.

Als ich auf den Bahnhof kam, fand ich dort zu meinem Verdruß an die zwanzig Tramps vor, die alle darauf warteten, auf dem »blinden« Gepäckwagen des Fernzuges mitzufahren. Zwei oder drei Landstreicher auf dem »Blinden« sind in Ordnung. Sie fallen nicht weiter auf. Aber mehr als ein Dutzend, das mußte Ärger geben. Daß die Bahnbeamten irgendeines Zuges uns alle würden mitfahren lassen, war ganz ausgeschlossen.

Es ist wahrscheinlich gut, wenn ich gleich hier klarstelle, was eine »blinde« Bremserplattform ist. Manche Postwagen haben zum Teil keine Türen an den Stirnseiten, solche Wagen sind also »blind«. Und bei den Postwagen, die Türen haben, sind diese immer verschlossen.

Nehmen wir an, daß ein Tramp auf die Plattform eines solchen blinden Wagens gelangt, wenn der Zug sich in Bewegung gesetzt hat. Es ist keine Tür da, oder die Tür ist verschlossen. Weder Schaffner noch Bremser können zu ihm, um Fahrgeld zu kassieren oder ihn hinunterzuwerfen. Bis der Zug wieder hält, befin det sich der Tramp also in Sicherheit. Dann muß er absprin gen, in der Dunkelheit vorauslaufen und, wenn der Zug vorbeikommt, wieder auf die blinde Plattform aufspringen. Aber man muß ganz schön auf dem Kien sein, um das zu bewerkstelligen, wie wir gleich sehen werden.

Als der Zug anfuhr, verteilten sich die zwanzig Tramps auf die drei Blindplattformen. Einige kletterten hoch, ehe der Zug auch nur eine Waggonlänge gefahren war. Das waren ungeschickte Tölpel, und ich sah sie schnell wieder herunterfliegen. Das Zugpersonal paßte natürlich auf, und beim ersten Halt ging das Theater los. Ich sprang ab und rannte voraus die Strecke entlang. Ich bemerkte, daß ein Teil der Tramps mir folgte. Sie kannten offenbar das Spiel. Wenn man sich auf einem Fernzug halten will, muß man auf den Bahnhöfen dem Zug ein ordentliches Stück vorauslaufen. Ich rannte in Fahrtrichtung, und von denen, die mir folgten, blieb einer nach dem anderen zurück.

An diesem Zurückbleiben konnte man den Grad ihrer Geschicklichkeit oder ihrer Kaltblütigkeit beim Aufspringen auf einen fahrenden Zug ablesen.

Das geht nämlich so vor sich: Wenn der Zug abfährt, besetzt der Bremser die Blindplattform. Er kann nur in den Zug hineingelangen, wenn er von dem »Blinden« abspringt und eine Plattform erwischt, wo die Wagenenden nicht »blind« sind. Der Bremser springt also ab, ehe ihm die Geschwindigkeit des Zuges zu groß wird, läßt einige Waggons vorbeifahren und springt wieder auf. De Schwarzfahrer muß daher so weit vorauslaufen, daß der Bremser die Blindplattform bereits verlassen hat, wenn dieser Wagen herankommt.

Ich ließ den letzten Tramp etwa fünfzig Fuß hinter mir und wartete. Der Zug fuhr an. Ich sah die Laterne des Bremsers auf der ersten Blindplattform. Er hielt sie besetzt. Und ich sah auch die Tölpel, die verloren auf dem Bahndamm standen, als der »Blinde« vorbeifuhr. Sie versuchten gar nicht erst aufzuspringen. Sie wurden gleich am Anfang von ihrer eigenen Unfähigkeit aus dem Feld geschlagen. Nach ihnen kamen die Tramps, die das Spiel schon ein bißchen kannten. Sie ließen die erste Blindplattform, auf der der Bremser stand, vorbeifahren und sprangen auf die zweite und dritte. Natürlich sprang der Bremser von der ersten ab und auf die zweite, als sie vorbeifuhr, tobte dort herum und warf die Leute hinunter, die er dort vorfand. Der springende Punkt aber ist, ich war so weit vorn, daß der Bremser die erste Blindplattform schon verlassen hatte, als sie auf mich zukam, und mit den Tramps auf der zweiten Plattform beschäftigt war. Ein halbes Dutzend der erfahrenen Tramps, die weit genug vorgerannt waren, gelangten auch auf den ersten »Blinden«.

Beim nächsten Halt, als wir auf dem Bahndamm vorwärts rannten, zählte ich bloß noch fünfzehn. Fünf waren »geschmissen« worden.

Das Aussieben hatte mächtig begonnen und wurde von Station zu Station fortgesetzt. Dann waren wir vierzehn, dann zwölf, dann elf, dann neun, dann acht. Es war wie im Kinderlied von den zehn kleinen Negerlein. Ich war entschlossen, als letztes kleines Negerlein übrigzubleiben.

Warum auch nicht? War ich nicht mit Kraft, Gewandtheit und Jugend gesegnet? (Ich war achtzehn Jahre und gut in Form.) Außerdem hatte ich gute Nerven, und schließlich hatte ich meine Erfahrung als Tramp. Verglichen mit mir waren die anderen große Tölpel, Schafsköpfe und Laien. Wenn ich nicht als letztes kleines Negerlein übrig blieb, konnte ich das Spiel aufgeben und mir irgendwo auf einer Farm Arbeit als Grasmäher suchen.

Als wir nur noch vier waren, begann sich das gesamte Zugpersonal für uns zu interessieren. Von da an war es ein Wettkampf von Geschicklichkeit und Schläue, bei dem das Zugpersonal im Vorteil war. Von den drei andern Überlebenden ging einer nach dem andern über Bord, bis ich allein übrigblieb. Darauf war ich mächtig stolz.

Kein Krösus konnte auf seine erste Million stolzer gewesen sein. Ich fuhr schwarz trotz der beiden Bremser, eines Schaffners, eines Heizers und eines Lokführers.

Und nun ein paar Beispiele, wie ich es machte. Hinter dem Bahnhof in der Dunkelheit - so weit auf der Strecke daß der Bremser, der die Blindplattform besetzt hält, auf jeden Fall herunter muß, bevor der Zug mich erreicht - springe ich auf. Soweit, so gut. Bis zur nächsten Station bin ich sicher. Wenn der Bahnhof erreicht ist, stürze ich nach vorn, um das Manöver zu wiederholen. Der Zug fährt an. Ich sehe ihn kommen.

Es ist kein Laternenschein auf der Plattform. Hat das Personal den Kampf aufgegeben? Ich weiß es nicht. Man weiß das nie, und man muß in jedem Au genblick auf alles nur Mögliche gefaßt sein. Als die erste Plattform herankommt und ich losrenne, um aufzuspringen, strenge ich die Augen an, so sehr ich kann, um zu sehen, ob der Bremser auf der Plattform ist. Er könnte jedenfalls dort sein und seine Laterne abgeblendet haben, und selbst wenn ich aufs Trittbrett springe, kann mir einer die Laterne an den Kopf schmettern. Ich kenne das zur Genüge. Zwei- oder dreimal bin ich mit Laternen geschlagen worden.

Doch nein, die erste blinde Plattform ist leer. Der Zug fährt schneller, ich bin wieder sicher bis zur nächsten Station. Wirklich?

Ich spüre, wie sich die Geschwindigkeit des Zuges verrin gert. Sofort bin ich auf den Beinen. Sie führen etwas gegen mich im Schilde, und ich weiß nicht, was es ist. Ich versuche nach beiden Seiten zugleich Ausschau zu halten und auch nicht den Tender vor mir aus den Augen zu lassen. Aus jeder dieser Richtungen oder auch aus allen dreien zugleich kann ich angegriffen werden.

Aha, jetzt kommt's! Der Bremser ist auf der Lokomotive mitgefahren. Ich spüre sofort, wie er sich auf das Trittbrett rechts von der blinden Plattform schwingt. Wie ein Blitz bin ich auf der linken Seite herunter und laufe vorwärts an der Lok vorbei. Im Dunkeln bin ich nicht mehr zu sehen. Wieder ist die Lage so, wie sie gewesen ist, seit der Zug Ottawa verlassen hat. Ich stehe auf der Strecke, und der Zug muß an mir vorbei, wenn er seine Fahrt fortsetzen will. Wieder sind meine Chancen aufzuspringen so gut wie immer. Ich bin auf der Hut. Ich sehe, wie eine Laterne auf die Lok zukommt. Aber ich sehe sie nicht zurückkehren. Sie muß daher noch auf der Lok sein, und man darf wohl annehmen, daß sich am Griff der Laterne auch noch ein Bremser befin det. Der Bremser macht es sich aber zu bequem, sonst würde er die Laterne ausgepustet haben, anstatt sie bloß abzuschirmen, als er nach vorn geht. Der Zug fährt wieder an. Der erste »Blinde« ist leer, ich erreiche ihn. Wie vorhin fährt der Zug langsamer, der Bremser von der Lok steigt auf der einen Seite aufs Trittbrett, und ich springe auf der anderen Seite ab und renne nach vorn.

Als ich in der Dunkelheit warte, überflutet mich eine Welle des Stolzes. Der Expreß hat zweimal angehalten, meinetwegen - wegen eines armen Tramps auf der Walze! Ich allein habe zweimal den Expreß mit seinen vielen Reisenden und Wagen, der Regierungspost und den zweitausend Pferdestärken in der Lok angehalten, und dabei wiege ich bloß hundertsechzig Pfund und habe nicht mal ein Fünfcentstück in der Tasche.

Wieder sehe ich die Laterne auf die Lok zukommen. Aber diesmal kommt sie ganz auffällig. Ein bißchen zu auffällig nach meiner Ansicht, und ich frage mich, was sie jetzt unter nehmen werden. Auf jeden Fall muß ich mich wohl vor etwas anderem vorsehen als vor dem Bremser auf der Lok. Der Zug rollt vorbei. Gerade noch im rechten Augenblick sehe ich, bevor ich meinen Sprung wage, die dunkle Gestalt eines Bremsers auf der ersten Blindplattform. Ich lasse sie vorbei und konzentriere mich darauf, die zweite Plattform zu erreichen. Aber der Bremser von der ersten Plattform ist heruntergesprungen und mir auf den Fersen. Ich sehe auch im Vorbeihuschen die Laterne des Bremsers, der auf die Lok gestiegen war. Er ist abgesprungen, und beide Bremser befinden sich jetzt auf derselben Seite des Bahndamms wie ich. Im nächsten Augenblick rollt der zweite »Blinde« heran, und da bin ich auch schon drauf. Aber ich verliere keine Sekunde. Ich habe mir meinen Schachzug schon überlegt. Als ich über die Plattform stürze, höre ich auch bereits die Füße des Bremsers auf dem Trittbrett. Ich springe auf der anderen Seite ab und renne mit dem Zug mit. Mein Plan ist, nach vorn zu rennen und auf den ersten »Blinden« zu gelangen. Es geht um die Wurst, denn der Zug beschleunigt seine Fahrt. Außerdem ist mir der Bremser auf den Fersen und rennt mir nach. Ich bin aber doch der bessere Sprinter denn ich erreiche die erste blinde Plattform. Ich stehe auf dem Trittbrett und beobachte meinen Verfolger. Er liegt nur etwa zehn Fuß zurück und rennt, was er kann. Doch jetzt hat der Zug annähernd die Geschwindigkeit des Bremsers erreicht, und dieser scheint, von meiner Stelle aus gesehen, stillzustehen. Ich ermuntere ihn, strecke ihm meine Hand entgegen; er flucht wie ein Wilder, gibt auf und springt ein paar Wagen weiter hinten auf.

Der Zug fährt jetzt mit voller Geschwindigkeit, und ich lache mir noch immer eins in Fäustchen, als mich plötzlich ein Wasserstrahl trifft. Der Heizer hat von der Lok aus den Schlauch auf mich gerichtet. Ich steige von der Plattform auf das hintere Trittbrett des Tenders, wo ich unter dem Überdach geschützt bin. Das Wasser schießt wirkungslos über meinen Kopf hinweg. Es juckt mir in den Fingern, auf den Tender zu klettern und dem Heizer ein Stück Kohle an den Kopf zu werfen; aber ich weiß, wenn ich das tue, werde ich von ihm und dem Lokführer massakriert. So lasse ich es lieber.

An der nächsten Station bin ich wieder unten und voraus in der Dunkelheit verschwunden. Als der Zug diesmal anfährt, sind beide Bremser auf der ersten blinden Plattform. Ich ahne ihr Vorhaben. Sie wollen vereiteln, daß ich mein voriges Spiel wiederhole. Ich kann nicht wieder auf den zweiten »Blinden« springen, auf der anderen Seite herabgleiten und zum ersten rennen. Sobald der erste »Blinde« vorbeifährt und ich mich nicht hinaufschwinge, springen sie ab, auf jeder Seite des Zuges einer. Ich klettere auf die zweite Plattform und weiß genau, daß einen Augenblick später die Bremser auftauchen werden, und zwar von beiden Seiten. Das wirkt wie eine Falle, der Weg ist nach beiden Seiten versperrt. Aber es gibt noch einen Ausweg, den nach oben nämlich.

Ich warte also gar nicht, bis meine Verfolger aufgesprungen sind. Ich klettere an dem Eisengestänge der Plattform hoch und stehe auf dem Rad der Handbremse. Das habe ich eben noch zur rechten Zeit geschafft, denn schon höre ich die Bremser auf die Trittbretter springen. Ich halte mich nicht damit auf, mich umzuschauen. Ich strecke die Arme hoch bis ich die herabgebogenen Enden der beiden Wagendächer zu fassen bekomme. Eine Hand faßt also das gewölbte Dachende des einen Wagens und die andere Hand das Dach des anderen. Jetzt kommen die Bremser die Stufen herauf. Ich spüre es, wenn ich auch zu beschäftigt bin, mich nach ihnen umzusehen. All das spielt sich innerhalb weniger Sekunden ab. Ich stoße mich mit den Beinen ab und ziehe mich unter Anspannung aller Muskeln nach oben.

Gerade als ich mich hochziehe, fassen die beiden Bremser nach mir und greifen ins Leere. Das weiß ich genau, denn ich blicke nun hinunter und sehe sie. Ich höre sie auch fluchen. Meine Lage ist jetzt halsbrecherisch, ich klammere mich gleichzeitig an die Kanten der abfallenden Dächer zweier Wagen. Mit einem raschen, kräftigen Schwung bringe ich beide Beine auf die Abrundung des einen Wagendaches und beide Hände auf das herabgebogene Ende des anderen Daches. Dann fasse ich den Rand und klettere über die Wölbung auf das flache Dach hinauf, wo ich erst einmal sitzen bleibe, um zu verschnaufen. Währenddessen halte ich mich an einem Entlüfter fest, der aus dem Dach herausragt. Ich bin oben auf dem Dach des Zuges - »auf Deck«, wie die Tramps es nennen, und der Vorgang, den ich beschrieben habe, wird von ihnen »Deckentern« genannt. Aber ich kann versichern, daß nur ein junger und kräftiger Tramp fähig ist, das Deck eines Personenzuges zu entern, und daß dieser junge und kräftige Tramp auch Mut und Nerven haben muß.

Der Zug erreicht seine volle Geschwindigkeit, und ich weiß, daß ich bis zur nächsten Station in Sicherheit bin - aber nur bis zur nächsten Station. Wenn ich auf dem Dach bliebe, nachdem der Zug angehalten hat, würden die Bremser mit Steinen nach mir werfen. Ein kräftiger Bremser kann einen ganz schönen Steinbrocken aufs Wagendach »herunterfallen lassen« - einen Brocken von mindestens fünf bis zwanzig Pfund. Andererseits sind die Chancen groß, daß die Bremser denken, ich werde an der Stelle hinuntersteigen, an der ich hinaufgeklettert bin. Also tue ich gut daran, mich auf eine andere Plattform herunterzulassen.

Indem ich inbrünstig hoffe, daß während der nächsten halben Meile kein Tunnel kommt, erhebe ich mich und laufe über ein halbes Dutzend Wagen hinweg. Ich kann versichern, daß man jede Furcht hinter sich lassen muß bei solch einem Gang. Die Dächer von Personenwagen sind nicht fürs Lustwandeln um Mitternacht geeignet.

Und wenn jemand denkt, sie seien doch dazu da, dann soll er es versuchen. Soll er doch nur einmal über das Dach eines rütteln den, schlingernden Wagens gehen, wo es nic hts weiter zum Festhalten gibt als die schwarze leere Luft; und wenn er an das gewölbte Ende des Daches kommt, das vom Tau feucht und rutschig ist, soll er doch versuchen einen Anlauf zu nehmen, um auf das nächste Dach hinüberzuspringen, das genauso gewölbt, so feucht und glitschig ist.

Ihr könnt mir glauben, er wird dabei merken, ob sein Herz schwach ist oder ob ihm schwindlig wird.

Als der Zug die Fahrt verlangsamt, um zu halten, steige ich ein halbes Dutzend Wagen hinter der Plattform herunter, von der ich aufs Dach geentert war. Auf der Plattform ist niemand. Sobald der Zug steht, lasse ich mich auf den Boden hinuntergleiten. Vorn, zwischen mir und der Lokomotive, bewegen sich' zwei Laternen. Die Bremser suchen die Wagendächer nach mir ab. Ich sehe, daß der Wagen, neben dem ich gerade stehe, ein sogenannter Zweiachser ist - womit gemeint ist, daß jener Wagen nur vier Räder hat. (Wenn man im Untergestell mitfahren will, muß man sich vor den Dreiachsern hüten, die bringen einem Unheil.)

Ich ducke mich und krieche unter den Zug ins Untergestell, und ich kann nur sagen, ich bin heilfroh, daß der Zug steht. Es ist überhaupt das erste Mal, daß ich auf der Canadian-Pacific »untertauche«, und die Anordnung des Unter gestells ist mir neu. Ich versuche über das Radgestell und den Wagenboden hindurchzukommen. Aber der Abstand zwischen beiden ist nicht groß genug, um sich dazwischenzwängen zu können. Das überrascht mich. In den Vereinigten Staaten bin ich gewohnt, sogar auf Züge unterzutauchen, die sich in voller Fahrt befinden. Dabei halte ich mich dann am Geländer der Plattform fest, schwinge die Beine unter den Wagen auf die Bremsstange und krieche von da aus über das Radgestell weiter in den Rahmen hinein bis zu einem Platz auf der Kreuzverstrebung.

Ich taste im Dunkeln mit der Hand und spüre, daß zwischen der Bremsstange und dem Boden eine Lücke ist. Sie ist allerdings sehr schmal. Ich muß mich auf den Bauch legen und mich hindurchschlängeln. Sobald ich im Untergestell bin, setze ich mich auf die Querstreben und frage mich, ob die Bremser wohl vermuten, wo ich geblieben bin. Der Zug fährt an. Sie haben es aufgegeben, nach mir zu suchen.

Aber haben sie es endgültig aufgegeben? Schon beim nächsten Halt sehe ich, wie eine Laterne unter das Radgestell am anderen Ende des Wagens gehalten wird. Sie suchen die Querstreben nach mir ab. Ich muß zusehen, daß ich ziemlich plötzlich fortkomme. Auf dem Bauch krieche ich unter die Bremsstange. Sie erblicken mich und rennen auf mich los, aber ich krieche auf Händen und Knien über das Gleis zurück auf die andere Seite und komme auf die Füße. Dann stürze ich wieder an die Spitze des Zuges. Ich renne an der Lok vorbei und verberge mich in der schützenden Dunkelheit. Wieder dieselbe Situation. Ich bin dem Zug voraus, und er muß an mir vorbei.

Der Zug setzt sich in Bewegung. Auf der ersten Blindplattform ist eine Laterne. Ich ducke mich und sehe den angestrengt nach mir ausschauenden Bremser vorbeifahren. Aber auf der zweiten Plattform ist auch eine Laterne. Der Bremser erkennt mich und ruft es seinem Kollegen zu, der auf der ersten Plattform vorbeigefahren ist. Beide springen ab. Keine Bange, ich werde die dritte Plattform nehmen und aufs Dach entern. Ach du meine Güte, auf der dritten Plattform ist ja auch eine Laterne! Das ist der Schaffner. Ich lasse ihn vorbeifahren.

Jedenfalls habe ich es jetzt mit dem gesamten Zugpersonal zu tun. Ich drehe mich um und renne entgegen der Fahrtrichtung los. Ich blicke über die Schulter. Alle drei Laternen sind auf dem Bahndamm und schwanken bei der Verfolgung hin und her. Ich renne aus Leibeskräften. Der Zug ist halb vorbei und hat schon ein ordentliches Tempo drauf, als ich aufspringe. Ich weiß, daß die beiden Bremser und der Schaffner in zwei Sekunden wie reißende Wölfe über mich herfallen werden. Ich springe auf das Rad der Handbremse, fasse mit den Händen die Kanten der Dächer und ziehe mich an »Deck«. Meine enttäuschten Verfolger drängen sich derweil auf der Plattform wie Hunde, die eine Katze auf den Baum gejagt haben, bellen Flüche nach oben und äußern Dinge über meine Vorfahren, die man in guter Gesellschaft besser nicht sagt.

Aber wen kratzt das? Nimmt man den Lokführer und den Heizer dazu, so stehen jetzt fünf gegen einen; sie haben die Majestät des Gesetzes und die Macht einer großen Eisenbahngesellschaft hinter sich, doch ich schlage sie trotzdem. Ich bin zu weit hinten auf dem Zug, und so laufe ich über die Wagendächer nach vorn, bis ich, von der Lok aus gesehen, über der fünften oder sechsten Plattform bin. Ich blicke vorsichtig hinunter. Ein Bremser ist auf der Plattform. Er muß mich erblickt haben, denke ich, weil er plötzlich ins Innere des Wagens huscht. Und ich denke mir auch, daß er hinter der Tür wartet, um sich auf mich zu stürzen, sobald ich her unterkomme. Aber ic h tue so, als ob ich nichts gemerkt habe, und bleibe, wo ich gerade bin, um ihn in seinem Irrtum zu bestärken. Ich kann ihn nicht sehen, aber ich weiß, daß er zwischendurch die Tür aufmacht und nach oben schielt, um sich zu vergewissern, daß ich noch da bin.

Der Zug fährt langsamer, wir nähern uns einer Station. Ich lasse die Beine, um den Mann zu täuschen, herabhängen. Der Zug hält an. Ich baumle immer noch mit den Beinen. Die Tür wird sachte aufgeklinkt.

Der Bremser ist bereit, mich in Empfang zu nehmen. Mit einem Satz springe ich auf und renne über das Dach nach vorn, genau über seinem Kopf also, und er lauert hinter der Tür. Der Zug steht; die Nacht ist ruhig, und ich gebe mir Mühe, mit den Füßen auf dem Blechdach ordentlich Lärm zu machen. Ich weiß es nicht genau, aber ich nehme an, daß er jetzt nach vorn rennt, um mich zu fassen, wenn ich bei der nächsten Plattform herunterkomme. Aber dort komme ich gar nicht herunter. Als ich über das halbe Wagendach gelaufen bin, drehe ich mich um und schleiche rasch zu der Plattform zurück, die der Bremser und ich eben verlassen haben. Die Luft ist rein. Ich gleite auf das Bahngelände und verberge mich in der Dunkelheit. Keine Seele hat mich gesehen.

Ich klettere über den Zaun am Bahndamm und beobachte, was vor sich geht. Nanu, was ist das? Eine Laterne bewegt sich auf dem Zug, von vorn nach hinten. Sie denken also, ich bin noch oben, und suchen die Dächer ab. Aber es kommt noch besser. Auf beiden Seiten des Zuges bewegen sich auf dem Bahndamm zwei weitere Laternen, die mit der auf dem Dach Schritt halten. Es ist die reinste Hasenjagd, und ich bin der Hase. Wenn der Bremser auf dem Dach mich aufstöbert, wollen die beiden ändern mich packen. Ich drehe mir eine Zigarette und lasse die Prozession vorüberziehen. Sind sie erst einmal an mir vorbei, kann ich ruhig nach vorn gehen. Der Zug setzt sich in Bewegung, und ich schwinge mich auf die vordere Plattform, ohne auf Widerstand zu stoßen. Aber ehe wir noch in voller Fahrt sind, und als ich mir gerade meine Zigarette anzünde, merke ich, daß der Heizer über die Kohlen zum hinteren Ende des Tenders gestiegen ist und zu mir heruntersieht. Ich kann mich auf allerhand gefaßt machen. Von seinem Platz aus kann er mich mit Kohlenbrocken zu Brei hauen. Statt dessen spricht er mich an, und ich spüre mit Erleichterung, daß Bewunderung in seiner Stimme mitschwingt.

»Du verdammter Hundesohn«, sagte er nur.

Ich fasse das als Kompliment auf, und es geht mir glatt runter wie einem Schuljungen, der eine Belobigung er hält.

»Hör mal!« rufe ich zu ihm hinauf, »laß das mit dem Wasserschlauch!«

»Na gut«, erwidert er und geht an seine Arbeit.

Mit der Lok habe ich mich angefreundet, aber die Bremser sind immer noch hinter mir her. Auf der nächsten Station besetzen sie alle drei Plattformen. Wie vorher, lasse ich sie vorbeifahren und entere das Dach in der Mitte des Zuges. Das Personal setzt jetzt alles daran, mich zu fassen; der Zug hält. Die Bremser wollen mich endgültig »schmeißen« oder bestätigt finden, warum sie es nicht schaffen.

Dreimal hält der mächtige Expreß an jener Station meinetwegen an, und jedesmal entkomme ich den Bremsern und entere die «Decks.

Doch die Sache ist hoffnungslos, denn sie haben schließlich ihre Situation begriffen. Ich habe ihnen beigebracht, daß sie den Zug nicht vor mir schützen können. Sie müssen es anders anfangen.

Und sie fangen es auch anders an. Als der Zug zum drit tenmal hält, setzen sie mir wie wild nach. Ich merke gleich, was sie vorhaben. Sie wollen mich einfach abhängen. Zunächst drängen sie mich zum Zugende zurück. Die Gefahr, in der ich dann schwebe, kenne ich.

Wenn ich erst ganz am Ende bin, soll der Zug anfahren und mich stehen lassen. Ich ducke mich, schlage Haken, drehe und wende mich, schlüpfe durch die Kette meiner Verfolger und erreiche wie der die Spitze des Zuges. Einer der Bremser ist mir noch immer auf den Fersen. Nun gut, ich will ihm das Rennen seines Lebens liefern, mir geht die Puste so bald nicht aus. Ich laufe schnurstracks die Gleise entlang. Mir kommt's nicht darauf an. Selbst wenn er mich zehn Meilen jagt, muß er doch den Zug kriegen, und ich kann bei jeder Geschwindig keit aufspringen, die er sich zutraut.

Ich renne also weiter, lasse immer einen beruhigenden Abstand zwischen mir und ihm und strenge im Finstern meine Augen an, um rechtzeitig Viehabsperrungen und Weichen zu sehen, die mir Verderben bringen könnten. Aber leider! Ich habe meine Augen zu weit voraus und stolpere über etwas, das gerade vor meinen Füßen ist.

Ich weiß nicht, was es ist, irgendein kleiner Gegenstand. Ich wanke noch ein paar Schritte und schlage lang hin. Im nächsten Moment bin ich wieder auf den Beinen, doch der Bremser hat mich schon am Kragen. Ich versuche nicht, mich loszureißen. Ich habe zu tun, tief durchzuatmen und ihn abzuschätzen. Er ist schmal in den Schultern, und ich bin bestimmt dreißig Pfund schwerer als er. Außerdem ist er genauso ausgepumpt wie ich, und wenn er anfangen will mich zu verprügeln, wird er sein blaues Wunder erleben.

Aber er versucht gar nicht erst mich zu schlagen, so daß sich das Problem gar nicht ergibt. Statt dessen fängt er an, mich zum Zug zurückzuzerren, und ein ganz anderes Problem erhebt sich nun. Die Laternen des Schaffners und des anderen Bremsers sind zu sehen. Wir nähern uns ihnen. Ich habe nicht umsonst die Bekanntschaft mit der New-Yorker Polizei gemacht. Nicht umsonst habe ich in Güterwagen, an Wassertanks und in Gefängniszellen blutrünstige Geschichten von Mißhandlungen gehört. Was nun, wenn diese drei vorhaben, mich zusammenzuschlagen? Ich habe sie, weiß Gott, genug provoziert.

Meine Gedanken arbeiten fieber haft. Wir kommen immer näher an die beiden anderen Eisenbahner heran. Ich suche schon Magen und Kinn meines Wärters und lege mir die rechten und linken Haken zurecht, die ich austeilen will, sobald es losgehen soll.

Pah! Ich kenne noch einen anderen Trick, den ich an ihm ausprobieren möchte. Es tut mir fast leid, daß ich ihn nicht schon angewendet habe, als er mich packte. So, wie er sich in meinen Kragen krallt, könnte ich etwas machen, daß ihm Hören und Sehen vergeht. Er hat seine Finger fest in meinem Kragen drin. Meine Jacke ist bis oben zugeknöpft. Habt ihr schon mal eine Aderpresse gesehen? Hier habt ihr sie: Ich brauche bloß meinen Kopf unter seinen Arm zu ducken und mich zu drehen. Ich muß mich schnell drehen, sehr schnell. Ich weiß, wie es zu machen ist. Man muß sich mit einem kräftigen Ruck um sich selbst drehen und bei jeder Umdrehung den Kopf unter den Arm des anderen ducken. Ehe er noch weiß, wie ihm geschieht, sind seine Finger, die mich jetzt gefangen halten, selbst gefangen. Er ist nicht in der Lage, sie herauszuziehen. Es wirkt wie ein kräftiger He beldruck.

Zwanzig Sekunden, nachdem ich begonnen habe mich zu drehen, wird ihm das Blut unter den Nägeln hervorspritzen, die zarten Sehnen werden zerreißen und Muskeln und Nerven zu einer unkenntlichen, schmerzenden Masse zerquetscht werden. Aber schnell muß man dabei sein - schnell wie der Blitz. Man muß sich, wenn man sich dreht, dabei auch zusammenkauern, das Gesicht mit dem linken Arm schützen und den Unterleib mit dem rechten. Der andere wird versuchen, diese Abwehr mit einem Schlag seines freien Armes zu stoppen. Man tut also gut daran, sich von dem freien Arm wegzudrehen und nicht auf ihn zu. Ein Stoß in der eigenen Drehrichtung ist nie so schlimm wie ein Stoß aus der entgegengesetzten Richtung.

Der Bremser wird nie erfahren, wie nahe er daran war, einen solchen ewigen Denkzettel verpaßt zu bekommen. Ihn rettete nur der Umstand, daß sie nicht die Absicht hatten, mich zusammenzuschlagen. Als wir nahe genug heran sind, ruft er ihnen zu, daß er mich habe. Sie geben dem Zug das Signal zum Abfahren. Die Lokomotive fährt vorbei und die drei Blindplattformen. Dann schwingen sich der Schaffner und der eine Bremser auf das Trittbrett. Aber mein Wächter hält mich noch immer fest. Sein Plan ist klar. Er will mich festhalten, bis das Zugende uns erreicht hat. Dann will er aufspringen und mich stehenlassen - abgehängt.

Aber der Zug kommt ziemlich schnell in Fahrt, der Lokführer will die verlorene Zeit herausholen. Der Zug ist auch ziemlich lang; er hat schon ein ganz schönes Tempo erreicht. Ich merke, wie der Bremser besorgt die Geschwindig keit abschätzt.

»Ob Sie es noch schaffen?« erkundige ich mich ganz unschuldig. Er läßt meinen Kragen los, nimmt einen kurzen Anlauf und schwingt sich aufs Trittbrett. Einige Wagen müssen noch an mir vorbei. Das weiß er, so wartet er auf dem Trittbrett, streckt den Kopf vor und beobachtet mich. In dem Au genblick fällt mir mein nächster Schachzug ein. Ich werde die letzte Plattform nehmen. Der Zug fährt immer schneller, aber ich riskiere, nur in den Dreck zu fallen, wenn ich abrutsche, und außerdem habe ich den Optimismus der Jugend. Ich verrate meine Absicht nicht. Mit herabhängenden Schultern stehe ich wie einer, der alle Hoffnung aufgegeben hat. Gleichzeitig prüfe ich mit den Füßen den Schotter. Er bietet einen sicheren Halt. Ich beobachte auch den hervorgestreckten Kopf des Bremsers. Nun zieht er sich zurück. Er ist davon überzeugt, daß der Zug zu schnell fährt, als daß ich noch mitkommen könnte.

Und der Zug fährt wirklich schnell - schneller als irgendein Zug, mit dem ich es je zu tun hatte. Als der letzte Wagen herankommt, nehme ich einen Anlauf in Fahrtrichtung. Es ist ein kurzer, schneller Anlauf.

Ich kann nic ht hoffen, dieselbe Schnelligkeit wie der Zug zu erreichen, aber ich kann die Differenz unserer Geschwindigkeiten auf ein Minimum reduzieren und dadurch den Anprall verringern, wenn ich aufspringe. Im Bruchteil einer Sekunde ist in der Finsternis das Geländer der hintersten Plattform nicht zu sehen, auch habe ich absolut keine Zeit, mich zu vergewissern, wo es ist. Ich strecke die Hand dorthin aus, wo es etwa sein könnte, und im selben Moment lösen sich auch meine Füße vom Boden. Jetzt geht es ums Ganze.

Jeden Augenblick kann ich mit gebrochenen Rippen oder Armen oder zerschmettertem Schädel über den Schotter rollen. Doch meine Finger bekommen den Griff zu fassen, es gibt einen Ruck in meinen Armen, durch den mein Körper leicht herumgeworfen wird. Mit den Füßen pralle ich scharf aufs Trittbrett.

Ich setze mich hin und bin sehr stolz auf meine Leistung. Das war das tollkühnste Zugmanöver, das ich während meiner ganzen Vagabundenzeit riskiert habe. Spät in der Nacht bleibt man auf der letzten Plattform meist mehrere Stationen lang ungeschoren, aber ich halte es für besser, mich am Zugende nicht auf den Zufall zu verlassen.

Beim ersten Halt laufe ich auf dem Bahngelände voraus, an den Pullmanwagen vorbei bis zu den üblichen Sitzwagen, tauche dort unter und lasse mich auf einer Querstrebe nieder.

Jetzt bin ich verhältnismäßig sicher. Die Bremser denken, sie haben mich abgehängt. Aber der lange Tag und die anstrengende Nacht machen sich bemerkbar. Es ist unten auch nicht so windig und kalt, ich fange an einzunicken. Das darf aber nicht sein. Auf den Querstreben einschlafen bedeutet den Tod. Ich krieche deshalb auf der zweiten Station wieder hervor und gehe nach vorn auf die zweite Blindplattform, dort kann ich mich hinlegen und schlafen; und ich kann euch sagen, ic h schlief dort wirklich - wie lange, weiß ich nicht; erst als mir eine Laterne ins Gesicht scheint, wache ich auf. Die beiden Bremser starren mich an. Ich rappele mich hoch und gehe in Abwehrstellung. Wer von den beiden wird zuerst auf mich einschlagen. Aber sie denken gar nicht daran.

»Ich glaubte, wir hätten dich abgehängt«, sagte der Bremser, der mich am Kragen gepackt hatte. »Wenn Sie mich nicht rechtzeitig losgelassen hätten, wären Sie auch abgehängt worden«, antworte ich.

»Wieso denn?« fragte er.

»Ich hätte mich an Sie geklammert und Sie einfach festgehalten«, erwidere ich.

Sie beraten miteinander, und ihr Urteil lautet so: »Junge, Junge, du verstehst dich aufs Mitfahren. Hat doch keinen Zweck, dich dran zu hindern.«

Sie gehen weiter und lassen mich bis zum Ende ihres Streckenabschnitts in Ruhe.

Ich habe das hier nur als Beispiel dafür angeführt, was Schwarzfahren alles bedeutet. Ich habe natürlich eine Nacht aus meinen Erlebnissen ausgewählt, in der ich Glück hatte; ich habe nichts von den Nächten gesagt - und es gab genug davon -, in denen mir Zufälle in die Quere kamen und ich doch »geschmissen« wurde.

Zum Schluß will ich noch berichten, wie es mir erging, als wir ans Ende dieses Streckenabschnitts kamen. Auf den ein gleisigen Überlandstrecken warten die Güterzüge an den Knotenpunkten und befahren die Strecke nach den Personenzügen. Als der Knotenpunkt erreicht war, verließ ich meinen Zug und sah mich nach dem Güterzug um, der hinterherfahren würde. Ich fand ihn, er stand auf dem Nebengleis und wartete. Ich kletterte in einen offenen Waggon, der halb voll Kohle war, und legte mich hin. Fast im selben Au genblick war ich eingeschlafen.

Ich erwachte, als die Tür aufgeschoben wurde. Die Morgendämmerung kam eben kalt und grau herauf, der Güter zug war noch gar nicht abgefahren. Ein Schaffner steckte den Kopf zur Tür herein.

»Mach, daß du rauskommst, du Lumpenhund!« brüllte er mich an.

Ich kletterte hinaus und sah, wie er am Gleis entlangging und in jeden Wagen schaute. Als er außer Sicht war, nahm ich an, er würde nie vermuten, daß ich die Frechheit besaß, wieder genau in den Waggon zu klettern, aus dem er mich hinausgeworfen hatte. Daher ging ich zurück und legte mich wieder hin.

Dieser Schaffner muß aber die gleichen Gedanken gehabt haben wie ich, denn er kam zu dem Schluß, daß ich genau das tun würde.

Deshalb kam er zurück und warf mich nochmals hinaus.

Aber er wird nicht im Traum daran denken, daß ich das ein drittes Mal tue, überlegte ich mir. Und wieder stieg ich in denselben Waggon. Aber ich wollte diesmal sichergehen. Nur eine der Mitteltüren konnte aufgemacht werden, die andere war zugenagelt. Von oben her buddelte ich mir an die ser Tür ein Loch in den Kohlenberg und legte mich hinein. Ich hörte, wie die andere Tür geöffnet wurde. Der Schaffner kletterte herein und blickte über den Kohlenhaufen. Er konnte mich nicht sehen. Er schrie, ich soll rauskommen. Ich versuchte, ihn zu täuschen, und war mucksmäuschenstill. Als er anfing, Kohlenbrocken in das Loch zu werfen, gab ich es auf und wurde zum drittenmal hinausgeworfen. Er schilderte mir in glühenden Farben, was mir passieren würde, wenn er mich hier noch einmal erwischte.

Ich änderte meine Taktik. Wenn jemand die gleichen Gedanken hat wie du, dann hänge ihn ab. Ändere plötzlich deine Überlegungen und schlage eine neue Richtung ein. Das tat ich. Ich versteckte mich zwischen einigen Wagen auf dem Nebengleis und wartete ab. Und tatsächlich kam doch dieser Schaffner wieder an den Waggon! Er machte die Tür auf, kletterte hoch, rief, warf Kohlen in das Loch, das ich gebuddelt hatte. Er kroch sogar über die Kohlen und blickte in das Loch. Fünf Minuten später setzte sich der Güterzug in Bewegung. Der Schaffner war nicht zu sehen. Ich rannte neben dem Waggon her, zog die Tür auf und kletterte hinein. Er hat nie mehr nach mir gesucht. Ich fuhr in dem Kohlenwaggon genau eintausendundzweiundzwanzig Meilen mit, während ich die meiste Zeit schlief. An den Knotenpunkten (wo die Güterzüge immer eine Stunde oder mehr halten) stieg ich aus und bettelte mir etwas Essen zusammen. Nach diesen tausendzweiundzwanzig Meilen aber verpaßte ich meinen Waggon durch einen glücklichen Zwischenfall. Ich wurde »hereingebeten«. Es gibt wohl keinen Tramp, der nicht jederzeit einen Zug fahren läßt, wenn er hereingebeten wird.

 

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