Рассказ «Пёстрая лента» (Das gefleckte Band) на немецком языке |
Рассказ «Пёстрая лента» (Das gefleckte Band) на немецком языке – читать онлайн, автор книги – Артур Конан Дойль. Книга «Пёстрая лента» также входит в сборник Артура Конан Дойля «Приключения Шерлока Холмса» (рассказы о лондонском честном детективе стали очень популярными среди читателей Великобритании, а позже были переведены на многие самые распространённые языки мира). Сам Артур Конан Дойль считал рассказ «Пёстрая лента» самым лучшим в этом сборнике. Остальные рассказы и повести, которые написал Артур Конан Дойль, а также произведения других известных писателей вы найдёте в разделе «Книги на немецком» (для детей есть раздел «Сказки на немецком»). Для самостоятельно изучающих немецкий язык по фильмам создан раздел «Фильмы на немецком», а для детей – «Мультфильмы на немецком». Для тех, кто хочет учить немецкий язык не только самостоятельно, но и с преподавателем, есть информация на странице «Немецкий по скайпу».
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Das gefleckte Band
Wenn ich die mehr als siebzig Fälle überblicke, in denen ich während der letzten acht Jahre die Methoden meines Freundes Sherlock Holmes studieren konnte, finde ich viel Tragisches, einiges Komische und eine große Anzahl lediglich seltsamer Begebenheiten, aber nichts Alltägliches, denn da mein Freund eher aus Liebe zu seiner Kunst arbeitet als um Reichtum zu erlangen, lehnte er es ab, sich mit Untersuchungen zu befassen, die nicht etwas Ungewöhnliches oder sogar Phantastisches an sich hatten. Bei all diesen verschiedenen Fällen erinnere ich mich an keinen, der so einzigartige Züge trug wie der, in den die bekannte Familie der Roylotts of Stoke Moran in Surrey verwickelt war. Besagte Ereignisse geschahen am Anfang meiner Bekanntschaft mit Sherlock Holmes, als wir Junggesellen waren und die Wohnung in der Baker Street teilten. Möglicherweise hätte ich sie schon früher mitgeteilt, aber damals wurde ein Geheimhaltungsversprechen gegeben, und davon bin ich erst seit dem letzten Monat durch den frühen Tode der Dame entbunden, in deren Wort wir standen. Vielleicht ist es gut, daß die Tatsachen nun ans Licht kommen, denn ich habe Grund, anzunehmen, daß Gerüchte über den Tod des Dr. Grimesby Roylott im Umlauf sind, die die Angelegenheit noch schrecklicher machen, als sie sich in Wahrheit darstellte. Es war im frühen April des Jahres '83, als ich eines Morgens beim Erwachen Sherlock Holmes angekleidet an meinem Bett sah. Gewöhnlich stand er später auf, und ich blinzelte ihn ziemlich überrascht an, da ich bemerkte, daß die Uhr auf dem Kaminsims erst Viertel nach sieben anzeigte, vielleicht auch ein wenig unwillig, denn ich war regelmäßig in meinen Gewohnheiten. "Tut mir sehr leid, daß ich Sie aus dem Schlaf gerissen habe, Watson", sagte er, "aber es ist wieder mal das übliche heute. Mrs, Hudson ist aus dem Schlaf gerissen worden, sie hat mich geweckt und ich nun Sie." "Was gibt es denn? Feuer?" "Nein, einen Klienten. Es scheint, eine junge Dame in beträchtlicher Erregung ist eingetroffen, die darauf besteht, mich zu sprechen. Jetzt wartet sie im Wohnzimmer. Wenn junge Damen zu solcher Morgenstunde in der Metropole herumlaufen und müde Leute aus dem Schlaf reißen, nehme ich an, ist es etwas sehr Dringendes, das sie mitzuteilen haben. Ich dachte, Sie möchten von Anfang an dabei sein, wenn es sich um einen interessanten Fall handelt und so wollte ich Ihnen eine Chance geben." "Mein lieber Junge, ich will die Sache um nichts in der Welt versäumen." Es gab für mich kein größeres Vergnügen, als Holmes bei seinen Untersuchungen zu beobachten, wie er die Fälle entwirrte, die ihm anvertraut waren; ich bewunderte seine schnellen Schlußfolgerungen und plötzlichen Eingebungen, die doch stets auf der Logik basierten. Ich warf mich schnell in die Kleider und nach wenigen Minuten war ich bereit, meinen Gefährten ins Wohnzimmer zu begleiten. Am Fenster saß eine schwarzgekleidete, tiefverschleierte Dame. Sie erhob sich bei unserem Eintritt. "Guten Morgen, Madam", sagte Holmes fröhlich. "Mein Name ist Sherlock Holmes. Dies hier ist mein guter Freund und Gefährte Dr. Watson, vor dem Sie so offen sprechen können wie vor mir. Ah, ich sehe, daß Mrs. Hudson den guten Einfall gehabt hat, Feuer zu machen. Bitte, setzen Sie sich näher an den Kamin und ich werde eine Tasse heißen Kaffee bestellen. Sie zittern ja." "Ich zittere nicht vor Kälte", sagte die Frau mit leiser Stimme und setzte sich auf den angebotenen Platz. "Sondern?" "Vor Angst, Mr. Holmes. Es ist der Schrecken." Sie hob den Schleier, als sie das sagte und wir sahen, daß sie sich wirklich in einem erbärmlichen Zustand von Aufregung befand. Ihr Gesicht war erschöpft und grau, in den ruhelosen Augen stand Furcht, wie man es bei gejagten Tieren kennt. Züge und Gestalt waren die einer Frau von dreißig, aber ihr Haar zeigte vorzeitiges Grau und sie machte einen müden, abgehärmten Eindruck. Sherlock Holmes musterte sie mit seinem schnellen, umfassenden Blick. "Sie brauchen keine Angst zu haben", sagte er beruhigend, beugte sich vor und tätschelte ihr den Unterarm. "Wir werden bald alles in Ordnung bringen, daran zweifle ich nicht. Sie sind heute morgen mit dem Zug gekommen, wie ich sehe." "Sie kennen mich?" "Nein, ich sehe eben die Rückfahrkarte in Ihrem linken Handschuh. Sie müssen früh aufgebrochen sein, da Sie doch bis zum Bahnhof noch ein gutes Stück über schlechte Straßen mit dem Dogcart zurückzulegen hatten." Die Dame zuckte heftig zusammen und sah meinen Gefährten verwirrt an. "Es ist keine Zauberei im Spiel, meine liebe Dame", sagte er lächelnd. "Ihr linker Jackenärmel weist nicht weniger als sieben Schlammspritzer auf. Die Stellen sind ganz frisch. Es gibt außer einem Dogcart kein Fahrzeug, das auf diese Weise Schlamm hochwirft und selbst auf ihm bekommt man solche Flecken nur, wenn man links vom Fahrer sitzt." "Welche Überlegungen Sie auch anstellen mögen, Sie haben völlig recht", sagte sie. "Ich bin vor sechs zu Hause aufgebrochen, habe Leatherhead um zwanzig nach sechs erreicht und den ersten Zug zur Waterloo-Station genommen. Sir, ich halte die Anspannung nicht mehr aus, ich werde verrückt, wenn sie weiter andauert. Ich habe niemanden, an den ich mich wenden kann - niemanden, außer einem, der sich um mich sorgt, und dieser arme Bursche kann wenig ausrichten. Ich habe von Ihnen gehört, Mr. Holmes, Mrs. Parintosh, der Sie in der Stunde äußerster Not beigestanden sind, hat mir von Ihnen erzählt. Sie hat mir Ihre Adresse gegeben. Oh Sir, glauben Sie nicht, daß Sie auch mir helfen oder ein wenig Licht in das Dunkel bringen können, das mich umgibt? Gegenwärtig steht es außer meiner Kraft, Sie zu bezahlen, aber in ein, zwei Monaten werde ich verheiratet sein und die Verfügung über meine Bezüge erlangen, dann zumindest werden Sie mich nicht undankbar finden." Holmes wandte sich nach seinem Schreibpult, schloß es auf, entnahm ein kleines Notizbuch und blätterte darin. "Parintosh", sagte er. "Ja, ich erinnere mich an den Fall; es ging da um eine opalbesetzte Tiara. Ich glaube, das war vor Ihrer Zeit, Watson. Ich kann Ihnen, Madam, nur versichern, daß ich mich glücklich schätzen werde, Ihren Fall mit derselben Sorgfalt zu behandeln wie den Ihrer Freundin. Was die Bezahlung anlangt: Mein Beruf trägt den Lohn in sich, aber es steht Ihnen frei, die Auslagen, die mir entstehen könnten, zu begleichen, wenn es genehm ist. Und nun bitte ich Sie, alles vor uns offenzulegen, was möglicherweise hilft, eine Meinung über die Sache zu bilden." "Ach!" erwiderte unsere Besucherin, "der eigentliche Schrecken meiner Lage besteht darin, daß meine Ängste so unbestimmt sind und mein Verdacht so ganz von Kleinigkeiten abhängt, die einem anderen unbedeutend vorkommen mögen, ja sogar der Mann, an den ich mich vor allen anderen mit Recht um Hilfe und Rat wenden könnte, hält alles, was ich ihm davon erzähle, für Phantasien einer nervösen Frau. Das sagt er nicht, doch ich entnehme es seinen beruhigenden Antworten und gleichgültigen Augen. Aber ich habe sagen hören, Mr. Holmes, sie können tief in die vielfältige Verderbtheit des menschlichen Herzens blicken. Vielleicht vermögen Sie mir zu raten, wie ich durch die Gefahren steuern soll, die mich umringen." "Ich bin ganz Aufmerksamkeit, Madam." "Ich heiße Helen Stoner und lebe an der Westgrenze zu Surrey bei meinem Stiefvater, dem letzten Nachfahren einer der ältesten sächsischen Familien Englands, der Roylotts of Stoke Moran." Holmes nickte. "Der Name ist mir vertraut", sagte er. "Die Familie gehörte einmal zu den reichsten in England und der Landbesitz erstreckte sich im Norden hinüber nach Berkshire und im Westen nach Hampshire. Im letzten Jahrhundert waren vier aufeinanderfolgende Erben liederlich und verschwenderisch und der Ruin wurde in den Tagen der Regentschaft schließlich durch einen Spieler besiegelt. Nichts war übriggeblieben außer ein paar Stücken Land und einem zweihundert Jahre alten Haus, das unter einer schweren Hypothekenlast fast zusammenbrach. Der letzte Squire fristete dort das schreckliche Leben eines verarmten Aristokraten; sein einziger Sohn aber, mein Stiefvater, der einsah, daß er sich den neuen Bedingungen anpassen müßte, nahm das Anerbieten eines Verwandten an, das ihn in den Stand setzte, einen medizinischen Grad zu erwerben und wanderte nach Kalkutta aus, wo er es durch berufliches Können und Charakterstärke zu einer großen Praxis brachte. In einem Wutausbruch wegen einiger Diebstähle, die im Haus begangen worden waren, erschlug er seinen eingeborenen Butler und entging nur knapp einem Todesurteil. Er verbüßte eine lange Freiheitsstrafe und kehrte nach England zurück, als ein verdrießlicher und enttäuschter Mann. In Indien hatte Dr. Roylott meine Mütter geheiratet, Mrs. Stoner, die Witwe eines Generalmajors der Bengalischen Artillerie. Meine Schwester Julia und ich sind Zwillinge; zur Zeit der Wiederverheiratung unserer Mutter waren wir erst zwei Jahre alt. Meine Mutter bezog eine ansehnliche Pension, nicht weniger als tausend Pfund jährlich und sie überschrieb sie ganz Dr. Roylott für die Zeit, während der wir mit ihm zusammenlebten, mit der Auflage, daß jedes Jahr eine bestimmte Summe für meine Schwester und mich für den Fall unserer Heirat zurückgelegt werden sollte. Kurz nach der Ankunft in England starb meine Mutter - sie fand vor acht Jahren den Tod bei einem Eisenbahnunglück bei Crewe. Dr. Roylott gab danach seine Versuche, in London eine Praxis einzurichten, auf und zog mit uns nach Stoke Moran, in das Haus seiner Väter. Das Geld, das meine Mutter hinterlassen hatte, langte vollauf zur Befriedigung unserer Wünsche und nichts schien unser Glück zu beeinträchtigen. Um diese Zeit aber ging mit unserem Stiefvater eine schreckliche Verwandlung vor sich. Anstatt Freundschaften zu schließen und den Nachbarn, die zuerst hocherfreut waren, daß wieder ein Roylott of Stoke Moran den alten Familienbesitz bewohnte, Besuche abzustatten, zog er sich in das Haus zurück und verließ es selten, es sei denn, um einen wilden Streit mit jedem, der ihm über den Weg lief, vom Zaun zu brechen. Ein gewalttätiges Temperament, das sich bis zur Raserei steigert, ist das Erbteil der männlichen Mitglieder der Familie und im Fall meines Stiefvaters hat sich diese Anlage durch seinen langen Aufenthalt in den Tropen, glaube ich, stark ausgebildet. Es gab eine Reihe schändlicher Zänkereien, zwei davon endeten vorm Polizeirichter und schließlich war er der Schrecken des Dorfes und alle flohen, sobald er sich näherte, denn er ist ein äußerst kräftiger Mann und in seiner Wut gänzlich unkontrolliert. Letzte Woche hat er den Hufschmied des Dorfes über ein Gitter in den Fluß geworfen und ich konnte nur dadurch eine erneute öffentliche Bloßstellung verhindern, daß ich dem Opfer alles Geld anbot, das sich zusammenbringen ließ. Er hat überhaupt keine Freunde außer den umherziehenden Zigeunern; diesen Vagabunden erlaubt er, auf den paar Acre verwilderten Landes, das den Familienbesitz noch ausmacht, zu kampieren und nimmt dafür ihre Gastfreundschaft entgegen, haust in ihren Zelten und zieht mit ihnen manchmal wochenlang umher. Er hegt auch eine Leidenschaft für Tiere aus Indien, die ihm auf briefliche Bestellung übersandt werden; gegenwärtig hält er einen Leoparden und einen Pavian die frei auf seinem Land herumlaufen. Vor denen haben die Dorfbewohner fast soviel Angst wir vor ihrem Herrn. Nach alledem können Sie sich wohl vorstellen, daß meine arme Schwester Julia und ich nicht viel Freude am Leben hatten. Kein Diener blieb bei uns und über eine lange Zeit haben wir selber alle Arbeit im Haus verrichtet. Als meine arme Schwester Julia starb, war sie erst dreißig, aber ihr Haar hatte bereits zu ergrauen begonnen, genauso wie meines." "Ihre Schwester ist also tot?" "Sie starb vor zwei Jahren und über ihren Tod möchte ich mit Ihnen sprechen. Sie verstehen wohl, daß sich uns nach dem Leben, das ich Ihnen beschrieben habe, kaum Gelegenheit bot, Leute unseres Alters und unserer Kreise kennenzulernen. Doch wir haben eine Tante, Miss Honoria Westphail, eine unverheiratete Schwester meiner Mutter, die bei Harrow lebt, und die Dame durften wir von Zeit zu Zeit besuchen. Julia war Weihnachten vor zwei Jahren bei ihr, lernte dort einen Marinemajor auf Halbsold kennen und verlobte sich mit ihm. Mein Stiefvater erfuhr von der Verlobung, als meine Schwester zurückkehrte und erhob keine Einwände gegen eine Ehe, aber vierzehn Tage vor dem Termin, zu dem die Hochzeit festgesetzt war, geschah das Entsetzliche, das mich meiner einzigen Gefährtin beraubte." Sherlock Holmes lehnte im Sessel, die Augen waren geschlossen, der Kopf ruhte auf einem Kissen, aber jetzt öffnete er die Lider und sah seine Besucherin an. "Bitte, seien Sie genau mit den Details", sagte er. "Das fällt mir leicht, denn jedes Ereignis dieser fürchterlichen Zeit hat sich mir ins Gedächtnis eingebrannt. Das Gutshaus ist, wie ich schon sagte, sehr alt und von den Flügeln wird nur einer jetzt noch bewohnt. Die Schlafzimmer liegen im Erdgeschoß dieses Flügels und die Wohnzimmer im Hauptbau. Von den Schlafzimmern gehört Dr. Roylott das erste, meine Schwester bewohnte das zweite und ich das dritte. Zwischen den Räumen gibt es keine Verbindung, aber alle Türen führen auf denselben Korridor. Mache ich mich verständlich?" "Völlig." "Die Fenster der drei Zimmer gehen zum Rasen hinaus. In der verhängnisvollen Nacht war Dr. Roylott früh in sein Zimmer gegangen und wir wußten, daß er sich nicht zur Ruhe begeben hatte, denn meine Schwester wurde vom Geruch der starken indischen Zigarren belästigt, die er zu rauchen pflegt. Sie kam deshalb zu mir herüber und wir saßen eine Weile beisammen und schwatzten über ihre bevorstehende Hochzeit. Um elf Uhr stand sie auf um mich zu verlassen, aber an der Tür blieb sie stehen und sah mich an. ›Hast du jemals‹, sagte sie, ›mitten in der Nacht jemanden pfeifen hören?‹ ›Nie‹, sagte ich. ›Und es ist auch nicht möglich, daß du es bist, die im Schlaf pfeift?‹ ›Natürlich nicht. Aber warum?‹ ›Weil ich während der letzten Nächte immer gegen drei Uhr morgens ein leises, klares Pfeifen gehört habe. Ich habe einen leichten Schlaf und bin davon aufgewacht. Ich weiß nicht, woher es kam - vielleicht aus dem nächsten Zimmer, vielleicht vom Rasen. Ich wollte nur fragen, ob du es auch gehört hast ‹ ›Nein, das habe ich nicht. Es müssen die abscheulichen Zigeuner auf dem Feld sein ‹ ›Wahrscheinlich. Und doch wundert es mich, daß du es nicht auch gehört hast, wenn es vom Rasen kommt ‹ ›Ach, ich schlafe eben tiefer als du ‹ ›Nun, es ist ohnehin nicht so wichtig ‹ Sie lächelte mir zu, schloß die Tür und einige Augenblicke später hörte ich deutlich, wie sich der Schlüssel in ihrem Schloß drehte. "Wirklich?" fragte Holmes. "Hatten Sie die Gewohnheit, sich nachts einzuschließen?" "Das taten wir immer." "Und warum?" "Ich glaube, ich habe doch erwähnt, daß der Doktor einen Leoparden und einen Pavian hält. Wir fühlten uns nicht sicher, wenn die Türen nicht abgeschlossen waren." "Stimmt, ja. Bitte setzen Sie Ihren Bericht fort." "In dieser, Nacht fand ich keinen Schlaf. Ein unbestimmtes Gefühl von drohendem Unheil lastete auf mir. Meine Schwester und ich, Sie erinnern sich, waren Zwillinge und Sie wissen, wie fein die Verbindungen solcher Seelen sind, die einander so nahe stehen, Es war eine wilde Nacht. Draußen heulte der Wind und der Regen schlug und spritzte gegen die Fenster. Plötzlich durchbrach der schauerliche Schrei einer entsetzten Frau das Toben des Sturms. Ich wußte, das war die Stimme meiner Schwester. Ich sprang aus dem Bett, warf mir einen Schal um und stürzte auf den Korridor. Als ich meine Tür öffnete, schien mir, ich hörte ein leises Pfeifen, so wie es mir meine Schwester beschrieben hatte und wenig später folgte ein Klirren, so als ob Metall zu Boden fiel. Ich lief über den Gang und fand die Tür zum Zimmer meiner Schwester offen, sie schwang in den Angeln. Ich starrte sie an mit, angstgeweiteten Augen und ahnte nicht, was sich als nächstes ereignen würde. Im Licht der Korridorlampe sah ich meine Schwester in der Tür erscheinen, ihr Gesicht war schreckensbleich, hilfesuchend tasteten die Hände und sie schwankte hin und her wie ein Trunkenbold. Ich stürzte zu ihr hin und warf die Arme um sie, aber im selben Augenblick gaben ihre Knie nach, und sie fiel zu Boden. Sie wand sich wie in fürchterlichem Schmerz und ihre Gliedmaßen zuckten qualvoll. Zuerst dachte ich, sie hätte mich nicht erkannt, aber als ich mich über sie beugte, schrie sie plötzlich mit einer Stimme, die ich nie vergessen werde: ›Mein Gott, Helen! Es war das Band! Das gefleckte Band!‹ Noch etwas wollte sie sagen und sie stieß den Finger in die Luft in Richtung des Zimmers des Doktors, aber ein neuerlicher Anfall überkam sie und ihr erstickten die Worte in der Kehle. Ich lief und rief laut nach meinem Stiefvater, der mir im Morgenmantel hastig entgegentrat. Aber als er bei ihr war, hatte sie das Bewußtsein verloren. Er flößte ihr Kognak ein und schickte um medizinischen Beistand ins Dorf, doch alle Bemühungen waren vergebens. Sie sank langsam in sich zusammen und starb, ohne das Bewußtsein noch einmal zu erlangen. Das war das fürchterliche Ende meiner Schwester." "Einen Augenblick", sagte Holmes. "Sind Sie sicher, daß sie das Pfeifen und den metallischen Ton gehört haben? Könnten Sie das beschwören?" "Der Coroner fragte mich beim Untersuchungstermin das gleiche. Ich stehe unter dem nachhaltigen Eindruck, beides gehört zu haben und doch war bei dem Krachen des Unwetters und dem Knarren des alten Hauses eine Täuschung möglich." "War Ihre Schwester angezogen?" "Nein, sie trug ihr Nachthemd. In der rechten Hand fand man das verkohlte Ende eines Streichholzes und in der linken eine Streichholzschachtel." "Das beweist, daß sie ein Holz angezündet und sich umgesehen hat, als das Beängstigende geschah. Das ist wichtig. Und zu welchem Schluß ist der Coroner gekommen?" "Er untersuchte den Fall sehr sorgfältig, denn von Dr. Roylotts Benehmen weiß man seit langem in der ganzen County, aber es gelang ihm nicht, eine befriedigende Erklärung für die Todesursache zu finden. Meine Aussage klärte, daß Julia die Tü r von innen verschlossen hatte und daß die Fenster durch die altmodischen Läden mit den starken Eisenstäben, die jede Nacht vorgelegt wurden, gesichert waren. Man hat die Wände sorgfältig überprüft und es stellte sich heraus, daß sie rundherum ganz massiv sind und auch den Fußboden untersuchte man gründlich und kam über ihn zum selben Ergebnis. Der Kamin ist zwar geräumig, aber vier große Schließklappen sperren ihn ab. So gilt es als sicher, daß meine Schwester ganz allein war, als ihr Ende sie ereilte. Außerdem waren keine Zeichen von Gewaltanwendung an ihrem Körper zu entdecken." "Was ist mit Gift?" "Der Doktor untersuchte sie daraufhin, aber ohne Erfolg." "Woran, glauben Sie, ist die unglückliche Dame dann gestorben?" "Ich glaube, sie starb an bloßem Schrecken, an einem Versagen der Nerven, wenn ich mir auch nicht vorstellen kann, was sie so in Furcht versetzt haben soll." "Waren die Zigeuner um jene Zeit auf dem Landbesitz?" "Ja, es sind fast immer einige da." "Aha. Und worauf haben Sie aus der Erwähnung des Bandes geschlossen - auf ein getupftes Band?" "Manchmal denke ich mir, daß sie im Delirium war, als sie so sprach, dann wieder stelle ich mir vor, daß sich diese Worte auf eine Bande von Menschen, vielleicht auf die Zigeuner, bezogen haben könnten, die auf dem Lande kampierten. Ich weiß nicht, vielleicht haben ihr die gepunkteten Taschentücher, die viele von ihnen auf dem Kopf tragen, die seltsame Wendung, die sie verwandte, eingegeben." Holmes schüttelte den Kopf, er war offensichtlich noch lange nicht zufriedengestellt. "Das ist eine ganz heikle Sache", sagte er. "Bitte, fahren Sie in Ihrer Erzählung fort." "Seitdem sind zwei Jahre vergangen und bis vor kurzem war mein Leben einsamer denn je. Vor einem Monat hat mir dann ein lieber Freund, den ich schon viele Jahre kenne, die Ehre angetan, mich um meine Hand zu bitten. Sein Name ist Armitage. Percy Armitage, er ist der zweite Sohn von Mr. Armitage aus Crane Water bei Reading. Mein Stiefvater widersetzt sich der Partie nicht und so werden wir im Frühjahr heiraten. Vor zwei Tagen nun ist im Westflügel mit einigen Reparaturen begonnen worden. Man hat die Wand meines Schlafzimmers durchbrochen, so daß ich in das Zimmer meiner Schwester übersiedeln mußte, in dem sie starb und in demselben Bett schlafen muß, in dem sie schlief. Stellen Sie sich meinen Schrecken vor, als ich gestern nacht, da ich wach lag und an ihr fürchterliches Schicksal dachte, plötzlich in der tiefen Stille das leise Pfeifen hörte, das der Vorbote ihres Todes war. Ich sprang aus dem Bett und entzündete die Lampe, aber ich konnte nichts im Zimmer entdecken. Ich war zu verstört, um wieder ins Bett zu gehen, und zog mich an und sobald der Morgen graute, schlich ich mich hinaus, mietete im Wirtshaus ›Zur Krone‹ einen Dogcart und fuhr nach Leatherhead, wo ich heute früh den Zug genommen habe, mit dem einzigen Ziel, Sie zu sprechen und Sie um Ihren Rat zu bitten." "Daran, haben Sie gut getan", sagte mein Freund. "Aber haben Sie mir auch alles erzählt?" "Ja, alles." "Das haben Sie nicht, Miss Stoner. Sie decken Ihren Stiefvater." "Wieso? Was meinen Sie damit?" Statt einer Antwort schob Holmes unserer Besucherin die schwarze Spitzenkrause, von der Hand zurück, die auf ihrem Knie lag. Fünf kleine bläuliche Flecken, die Abdrücke von vier Fingern und einem Daumen, waren in das weiße Gelenk eingedrückt. "Man hat Sie grausam behandelt", sagte Holmes. Die Dame errötete tief und bedeckte die verletzte Hand wieder. "Er ist ein harter Mann", sagte sie, "und vielleicht weiß er kaum, wie stark er ist." Es folgte eine lange Pause. Holmes saß, das Kinn in die Hände gestützt und starrte in das knisternde Feuer. "Das ist eine sehr ernste Angelegenheit", sagte er schließlich. "Es gibt tausend Einzelheiten, die ich wissen möchte, ehe ich den Kurs unseres Vorgehens festlege. Doch wir dürfen keinen Augenblick verlieren. Wenn wir heute noch nach Stoke Moran kämen, wäre es dann möglich, diese Zimmer zu besichtigen, ohne daß Ihr Stiefvater etwas merkt?" "Wie es der Zufall will, hat er davon gesprochen, daß er heute in einer äußerst wichtigen Angelegenheit in die Stadt fahren müsse. Wahrscheinlich bleibt er den ganzen Tag weg und nichts würde Sie stören. Wir haben jetzt wieder eine Haushälterin, aber sie ist alt und ein wenig schwachsinnig; ich könnte sie leicht fernhalten." "Ausgezeichnet. Sie haben nichts gegen diese kleine Reise, Watson?" "Gewiß nichts." "Dann werden Dr. Watson und ich fahren. Wie halten Sie es?" "Ich möchte noch ein paar Dinge erledigen, da ich nun einmal in der Stadt bin. Mit dem Zug um zwölf Uhr fahre ich zurück, damit ich rechtzeitig da bin, wenn Sie kommen." "Sie können uns zum frühen Nachmittag erwarten. Ich habe auch noch einige Kleinigkeiten zu tun. Möchten Sie warten und mit uns frühstücken?" "Nein, ich muß gehen. Mir ist schon leichter ums Herz, seit ich Ihnen meine Sorgen anvertraut habe. Ich freue mich, Sie heute nachmittag wiederzusehen." Sie ließ ihren dichten schwarzen Schleier herunter und ging leise aus dem Zimmer. "Und was halten Sie von alledem, Watson?" fragte Holmes und lehnte sich tiefer in den Sessel. "Es scheint mir eine sehr dunkle und schlimme Angelegenheit zu sein." "Wirklich, dunkel und schlimm." "Aber wenn das stimmt, was die Dame sagt, wenn also die Wände und der Fußboden unversehrt waren und durch die Tür, das Fenster und den Kamin niemand hinein konnte, dann muß ihre Schwester allein gewesen sein, als sie ihr geheimnisvolles Ende fand." "Was ist dann aber mit dem nächtlichen Pfeifen und den sehr seltsamen Worten der Sterbenden?" "Das weiß ich nicht." "Wenn Sie es miteinander kombinieren: das Pfeifen in der Nacht, die Anwesenheit einer Zigeunerbande, die vertraut mit dem alten Doktor verkehrt, die Annahme - zu der wir allen Grund haben - daß der Doktor ein Interesse daran besitzt, die Heirat seiner Stieftochter zu verhindern, das Band oder die Bande, diese Erwähnung der Sterbenden, schließlich den Umstand, daß Miss Stoner ein metallisches Klirren hörte, ein möglicherweise dadurch verursachtes Geräusch, daß eine der eisernen Stangen, die die Läden sichern, in ihre Halterung zurückfiel - also, ich glaube: das Geheimnis könnte im Rahmen dieser Momente gelöst werden." "Aber was taten dabei die Zigeuner?" "Da kann ich mir nichts vorstellen." "Ich sehe sehr viele Einwände gegen solch eine Theorie." "Ich auch. Und genau aus dem Grunde fahren wir heute nach Stoke Moran. Ich möchte feststellen, ob die Einwände für die Theorie tödlich sind, oder ob sie sich durch Erklärungen aufheben. Aber was, zum Teufel, ist das?" Der Ausruf entfuhr meinem Freund, weil plötzlich die Tür aufgestoßen wurde und ein riesiger Mann im Rahmen, stand. Sein Aufzug zeigte eine seltsame Mischung von Standesgemäßem und Bäuerischem: ein schwarzer steifer Hut, ein Gehrock, hohe Gamaschen, eine Reitpeitsche, die er in der Hand schwang. Er war so lang, daß er tatsächlich den Türsturz streifte und seine Breite schien die Öffnung von Seite zu Seite auszufüllen. Ein großes Gesicht, von tausend Runzeln gekerbt, von der Sonne gelb gebrannt und von allen üblen Leidenschaften gezeichnet, wandte sich von mir zu Holmes; durch die tiefliegenden gallgrünen Augen und die lange, dünne, fleischlose Nase sah es dem eines alten Raubvogels ähnlich. "Wer ist Holmes?" fragte die Erscheinung. "Das ist mein Name, Sir, aber Sie haben den Vortritt", sagte mein Gefährte ruhig. "Ich bin Dr. Grimesby Roylott of Stoke Moran." "Wirklich, Doktor", sagte Holmes freundlich. "Nehmen Sie Platz!" "Nichts dergleichen werde ich tun. Meine Stieftochter ist hier gewesen. Ich bin ihr gefolgt. Was hat die Ihnen gesagt?" "Es ist ein wenig kalt für die Jahreszeit", sagte Holmes. "Was hat sie Ihnen gesagt?" schrie der alte Mann wütend. "Aber ich habe gehört, daß die Krokusse vielversprechend stehen", fuhr mein Gefährte ungerührt fort. "Ha! Sie wollen mich abfahren lassen, nicht wahr?" sagte unser neuer Besucher, trat einen Schritt vor und schwenkte die Reitpeitsche. "Ich kenne Sie, Sie Schurke! Ich habe schon von Ihnen gehört. Sie sind Holmes, der sich in alles einmischt." Mein Freund lächelte. "Holmes, der Hansdampf in allen Gassen." Das Lächeln hellte sich auf. "Holmes, das Mädchen für alles bei Scotland Yard." Holmes kicherte fröhlich. "Ihre Konversation ist äußerst unterhaltsam", sagte er. "Wenn Sie gehen, schließen Sie die Tür, es zieht sehr." "Ich gehe, wenn ich meines gesagt habe. Wagen Sie nur ja nicht, sich in meine Angelegenheiten zu mischen. Ich weiß, daß Miss Stoner hier war - ich bin ihr nachgegangen. Es ist gefährlich, mir dumm zu kommen. Sehen Sie mal!" Er tat einen Schritt vorwärts" ergriff schnell das Schüreisen und bog es mit seinen riesigen braunen Händen. "Passen Sie auf, daß Sie nicht in meinen Griff geraten", knurrte er, warf das verbogene Schüreisen in den Kamin und ging steifbeinig aus dem Zimmer. "Scheint ein liebenswürdiger Mensch zu sein", sagte Holmes lachend. "Ich bin nicht ganz so massig, aber wenn er geblieben wäre, hätte ich ihm vielleicht gezeigt, daß mein Griff nicht sehr viel schwächer ist als seiner." Im Sprechen hob er das Schüreisen auf und bog es mit einer plötzlichen Anstrengung gerade. "Stellen Sie sich vor! Diese Unverschämtheit, mich mit der Polizei durcheinanderzubringen! Der Zwischenfall gibt unserer Untersuchung einen besonderen Pfiff, aber ich hoffe nur, daß unsere kleine Freundin ihre Unbedachtheit, sich von dem brutalen Kerl verfolgen zu lassen, nicht büßen muß. Und jetzt, Watson, werden wir Frühstück bestellen und danach mache ich einen Spaziergang zu Doctors Commons, wo ich einige für diesen Fall hilfreiche Daten zu erfahren hoffe." Es war fast ein Uhr, als Sherlock Holmes von seinem Ausflug zurückkehrte. In der Hand trug er ein blaues Stück Papier, das mit Notizen und Zahlen bedeckt war. "Ich habe das Testament seiner verstorbenen Frau eingesehen", sagte er. "Um hinter den genauen Sinn zu kommen, mußte ich den gegenwärtigen Wert der Geldanlagen ausrechnen, um die es im Letzten Willen geht. Die Gesamtbezüge, die zur Zeit des Todes der Frau etwas weniger als tausendeinhundert Pfund betrugen, sind durch den Verfall der Agrarpreise auf fast siebenhundertfünfzig Pfund gesunken. Jede der Töchter kann ab der Heirat eine Rente von zweihundertfünfzig Pfund für sich beanspruchen. So ist denn offensichtlich, daß für diesen Menschenfreund, hätten beide Mädchen geheiratet, nur eine sehr magere Portion übriggeblieben wäre, aber bereits im Fall der Heirat auch nur einer der Stieftöchter wäre er bereits zum finanziellen Krüppel geworden. Meine Morgenarbeit war nicht vergebens, da ich beweisen kann, daß er das stärkste Motiv hat, sich derartigen Bestrebungen in den Weg zu stellen. Das alles, Watson, ist viel zu ernst, als daß wir trödeln dürften, besonders da der alte Mann weiß, daß wir uns für seine Angelegenheiten interessieren. Wenn Sie also bereit sind, werden wir eine Droschke rufen und zur Waterloo-Station fahren. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Ihren Revolver einsteckten. Eine Eley No 2 ist ein ausgezeichnetes Argument bei Gentlemen, die Knoten in stählerne Schüreisen machen können. Der Revolver und eine Zahnbürste, denke ich, ist alles, was wir brauchen." Wir hatten das Glück, einen Zug nach Leatherhead zu bekommen; dort eingetroffen, mieteten wir von der Bahnhofsgaststätte aus ein Trap und fuhren vier oder fünf Meilen über Landwege durch das liebliche Surrey. Es war ein herrlicher Tag, die Sonne strahlte und am Himmel standen Schäfchenwolken. Die Bäume und Hecken am Wegrand trieben ihr erstes Grün und die Luft war geschwängert vom angenehmen Duft feuchter Erde. Ich wenigstens spürte den seltsamen Gegensatz zwischen dem süßen Versprechen des Frühlings und der düsteren Untersuchung, die uns aufgetragen war. Mein Freund saß, in tiefe Gedanken verstrickt, vorn im Trap, die Arme verschränkt und den Hut über die Augen gezogen; Das Kinn war ihm auf die Brust gesunken. Dann aber straffte er sich plötzlich, tippte mir auf die Schulter und deutete hinweg über die Wiesen. "Sehen Sie" sagte er. Ein stark bewaldeter Park zog einen sanften Hang hinan und verdichtete sich in der Höhe zu einem Hain. Dort oben ragten aus dem Gewirr der Äste die grauen Giebel und der hohe Firstbalken eines sehr alten Gutshauses. "Stoke Moran"? fragte Holmes. "Ja, Sir, das ist das Haus von Dr. Grimesby Roylott", bestätigte der Kutscher. "Da ist die Baustelle, zu der wir wollen", sagte Holmes. "Das Dorf liegt drüben", sagte der Kutscher und deutete auf eine Ansammlung von Häusern linker Hand in einiger Entfernung. "Aber wenn Sie zum Gutshaus wollen, ist es kürzer, Sie steigen über den Zauntritt und folgen dem Weg durch die Felder. Sehen Sie, wo die Dame geht." "Und die Dame, glaube ich, ist Miss Stoner", bemerkte Holmes und hielt die Hand über die Augen. "Ja, wir sollten tun, wie Sie uns raten." Wir stiegen aus, beglichen den Fahrpreis und das Trap rasselte nach Leatherhead zurück. "Das wollte ich", sagte Holmes, als wir den Zauntritt überstiegen, "daß uns der Bursche für Architekten oder etwas Ähnliches hält. Vielleicht verhindert es Redereien. - Guten Tag, Miss Stoner, Sie sehen, wir haben Wort gehalten." Unsere Klientin vom Morgen lief uns freudigen Gesichts entgegen. "Ich habe so sehr auf Sie gewartet", rief sie und drückte uns herzlich die Hand. "Alles hat sich glänzend gefügt. Dr. Roylott ist in die Stadt gefahren und ich halte es für unwahrscheinlich, daß er vor Abend zurückkommt." "Wir hatten das Vergnügen, die Bekanntschaft des Doktors zu machen", sagte Holmes und skizzierte mit wenigen Worten, was sich zugetragen hatte. Miss Stoner erbleichte bis in die Lippen. "Um Himmels willen!" rief sie. "Er hat mich verfolgt!" "So scheint es." "Er ist derart geschickt, daß ich nie weiß, wann ich vor ihm sicher bin. Was wird er nur sagen, wenn er zurückkommt?" "Er sollte sich vorsehen, denn er könnte gewahr werden, daß ihm ein Geschickterer auf der Spur ist. Sie müssen sich von heute nacht an einschließen. Wenn er gewalttätig wird, bringen wir Sie zu Ihrer Tante nach Harrow. Jetzt aber dürfen wir keine Zeit verlieren. Führen Sie uns sofort zu den Zimmern, die wir untersuchen wollen." Das Gebäude war, aus grauem, nun mit Flechten bedecktem Stein errichtet und bestand aus einem hohen Zentralbau und zwei Flügeln, die gekrümmt waren wie Scheren eines Krebses. In dem einen Flügel waren die Fensterscheiben zerbrochen und mit Brettern vernagelt und das Dach hatte sich gesenkt - ein Bild des Verfalls. Der zentrale Teil befand sich in etwas besserem Zustand. Der rechte Flügel war vergleichsweise gut erhalten und die Läden an den Fenstern und der blaue Rauch, der aus den Schornsteinen kräuselte, zeigten an, daß hier die Familie wohnte. An der hinteren Wand stand ein Gerüst und das Mauerwerk war durchbrochen; doch zur Zeit unserer Ankunft waren keine Arbeiter zu sehen. Holmes ging langsam auf dem schlecht geschnittenen Rasen hin und her und betrachtete mit großer Aufmerksamkeit die Fenster. "Dieses hier, nehme ich an, gehört zu dem Zimmer, in dem Sie zu schlafen pflegen, das in der Mitte zu dem Ihrer Schwester und das dem Hauptgebäude am nächsten gelegene zu dem von Dr. Roylott?" "So ist es. Aber ich schlafe jetzt in dem mittleren." "Für die Dauer des Umbaus, wenn ich nicht irre. Übrigens scheinen Reparaturen an der hinteren Mauer nicht gar so nötig zu sein." "Es werden auch keine gemacht. Ich glaube, alles war nur ein Vorwand, um mich aus meinem Zimmer zu entfernen." "Ah, das ist ein Gedanke! Nun, dort auf der anderen Seite des schmalen Flügels befindet sich der Korridor, von dem aus man in die drei Zimmer gelangt. Er hat doch wohl auch Fenster?" "Ja, aber nur kleine, zu eng, als daß jemand hindurch könnte." "Da Sie die Türen nachts zugesperrt halten, kommt man von dort also nicht hinein. Wären Sie nun so freundlich, in Ihr Zimmer zu gehen und die Läden zu schließen?" Miss Stoner tat es und Holmes, der zuvor den Raum durchs Fenster sorgfältig betrachtet hatte, versuchte auf jede Weise, die Läden mit Gewalt wieder zu öffnen, doch ohne Erfolg. Es gab keine Ritze, durch die man ein Messer schieben konnte, um die Sicherungsstange zu heben. Er untersuchte mit seiner Lupe die Angeln. Sie waren aus massivem Eisen und fest ins starke Mauerwerk eingelassen. "Hm", brummte er und kratzte sich ziemlich ratlos am Kinn. "Meine Theorie stößt auf Schwierigkeiten. Niemand kann die Laden öffnen, wenn sie verriegelt sind. Nun, wir werden sehen, ob das Innere des Hauses Licht in die Sache bringt." Ein kleiner Seitengang führte in den weißgetünchten Korridor, von dem die drei Schlafzimmer abgingen. Holmes verzichtete darauf, das erste Zimmer zu untersuchen; so gingen wir sofort in das zweite, in dem Miss Stoner jetzt schlief und wo das Schicksal ihre Schwester ereilt hatte. Es war ein schlichter kleiner Raum mit einer niedrigen Decke und einem großen Kamin von der Art, wie man sie in alten Landhäusern findet. In einer Ecke stand eine braune Kommode, in einer anderen ein Bett mit weißer Decke und links neben dem Fenster ein Toilettentisch. Diese Gegenstände und zwei kleine Korbstühle waren das ganze Mobiliar, abgesehen von einem Wilton-Teppich inmitten des Zimmers. Die Bretter des Fußbodens und das Paneel waren aus brauner, wurmstichiger Eiche und so alt und verfärbt, daß sie aus der ursprünglichen Zeit des Hauses hätten stammen können. Holmes zog einen der Stühle in eine Ecke und seine Blicke wanderten hin und her und auf und nieder und nahmen jede Einzelheit des Zimmers wahr. "Womit steht das da in Verbindung?" fragte er schließlich und deutete auf einen dicken Klingelzug, der neben dem Bett hing und dessen Quaste jetzt auf dem Kopfkissen lag. "Mit dem Zimmer der Haushälterin." "Er sieht neuer aus als die anderen Dinge." "Ja, die Glocke ist erst vor einigen Jahren angebracht worden." "Ich nehme an, Ihre Schwester hat das gewollt." "Nein, ich habe nie gehört, daß sie die Glocke benutzt hätte. Wir haben uns immer selber geholt, was wir brauchten." "Es scheint wirklich unnütz gewesen zu sein, einen so schönen Klingelzug hier anzubringen. Entschuldigen Sie mich ein paar Minuten, ich will meine Neugier hinsichtlich des Fußbodens befriedigen." Er warf sich nieder, die Lupe in der Hand, und kroch geschwind vor und zurück, genauestens die Ritzen zwischen den Brettern in Augenschein nehmend. Dieselbe Untersuchung stellte er am Paneel an. Schließlich ging er zum Bett und verbrachte einige Zeit damit, es anzustarren; dann schickte er seine Blicke die Wand hinauf und hinunter. Am Ende faßte er den Klingelzug und riß energisch an ihm. "Das ist eine Attrappe", sagte er. "Schellt es nicht?" "Nein, er hat nicht einmal eine Drahtverbindung. Das ist interessant. Sehen Sie doch: Der Zug hängt an einem Haken, genau über dem kleinen Lüftungsloch." "Wie sinnlos! Das ist mir noch nie aufgefallen." "Sehr seltsam!" murmelte Holmes und zog wieder an dem Strang. "In diesem Zimmer gibt es einige äußerst ungewöhnliche Einrichtungen. Was für ein Narr muß zum Beispiel der Baumeister gewesen sein, daß er eine Entlüftung in ein anderes Zimmer geführt hat, da er mit gleichem Aufwand eine Verbindung zur frischen Luft von draußen hätte herstellen können." "Das Loch ist auch ziemlich neu." "Zur selben Zeit wie der Glockenzug angebracht", bemerkte Holmes. "Ja, damals wurden einige kleine Veränderungen vorgenommen." "Bemerkenswerte Veränderungen - die Attrappe eines Klingelzuges, eine Entlüftung, durch die keine Frischluft kommt. Mit Ihrer Erlaubnis, Miss Stoner, setzen wir unsere Untersuchung im nächsten Raum fort." Dr. Grimesby Roylotts Zimmer war größer als das seiner Stieftochter, aber ebenso karg eingerichtet. Ein Feldbett, ein kleines Holzregal voller Bücher, die sich hauptsächlich mit Technik befaßten, neben dem Bett ein Lehnsessel, an der Wand ein einfacher Holzstuhl, ein runder Tisch und ein großer eiserner Safe. Das waren die hauptsächlichen Dinge, die das Auge erfaßte. Holmes ging langsam umher und betrachtete alles mit höchstem Interesse. "Was ist da drin?" fragte er und klopfte auf den Safe. "Die Geschäftspapiere meines Stiefvaters." "Oh, sie haben schon hineingeschaut?" "Nur einmal, vor Jahren. Ich erinnere mich, daß er voller Papiere war." "Da ist zum Beispiel keine Katze drin?" "Nein. Was für eine seltsame Idee." "Aber dann sehen Sie sich dies an!" Er hob eine Untertasse mit Milch hoch, die auf dem Safe stand. "Nein, wir halten keine Katze. Aber es gibt einen Leoparden und einen Pavian." "Ach ja, natürlich! Ein Leopard ist ja auch eine große Katze, aber ich würde sagen, daß eine Untertasse voll Milch seine Bedürfnisse nicht so ganz befriedigt. Über einen Punkt möchte ich doch genau Bescheid wissen." Er hockte sich vor den Holzstuhl und untersuchte den Sitz mit größter Aufmerksamkeit. "Danke. Das hätten wir", sagte er, erhob sich und steckte die Lupe in die Tasche. "Hallo, das ist aber interessant!" Der Gegenstand, dem er sich nun widmete, war eine kurze Hundepeitsche, die am Bettpfosten hing. Sie war zusammengerollt und verknotet, als hätte der Mann aus der Peitschenschnur eine Schlinge machen wollen. "Was halten Sie davon, Watson?" "Es ist eine ganz gewöhnliche Hundepeitsche. Aber ich kann mir nicht denken, warum sie verknotet wurde." "Das ist nicht ganz das Übliche, nicht wahr? Ah ja, es ist schon eine verderbte Welt und wenn ein schlauer Mann seine Gedanken aufs Verbrechen richtet, dann ist sie am bösesten. Ich glaube, Miss Stoner, ich habe genug gesehen. Wir gehen jetzt, mit Ihrer Erlaubnis, hinaus auf den Rasen." Das Gesicht meines Freundes war mir nie so streng vorgekommen, seine Stirn nie so finster wie in dem Augenblick, da wir den Schauplatz dieser Untersuchungen verließen. Wir gingen mehrere Male über den Rasen und weder Miss Stoner noch ich wollten den Lauf seiner Gedanken unterbrechen. Schließlich riß er sich aus seinem Brüten. "Es ist lebenswichtig, Miss Stoner", sagte er, "daß Sie meine Anweisungen in allem befolgen." "Das werde ich ganz gewiß tun." "Die Sache ist zu ernst, als daß wir auch nur eine Sekunde zögern dürften. Ihr Leben kann von der Befolgung abhängen." "Ich versichere Ihnen, daß ich mich Ihnen ganz anvertraue." "Vor allem müssen wir, mein Freund und ich, die Nacht in Ihrem Zimmer verbringen." Miss Stoner und ich sahen ihn erstaunt an. "Ja, es muß sein. Lassen Sie mich Ihnen erklären. Ist das dort drüben der Dorfgasthof?" "Ja, das ist ›Die Krone‹." "Sehr gut. Kann man von da her Ihr Fenster sehen?" "Gewiß." "Wenn Ihr Stiefvater nach Hause kommt, müssen Sie sich in Ihr Zimmer einschließen. Schützen Sie vor, Sie hätten Kopfschmerzen. Wenn Sie darin hören, daß er sich zur Ruhe begeben hat, öffnen Sie die Läden, lösen die Haspe und stellen als Signal für uns ihre Lampe ins Fenster. Dann ziehen Sie sich mit allem, was Sie mitnehmen wollen, in das Zimmer zurück, in dem sie sonst schlafen. Ich zweifle nicht, daß Sie es trotz der Reparaturvorkehrungen dort eine Nacht lang aushalten." "O ja, leicht." "Den Rest überlassen Sie uns." "Aber was wollen Sie tun?" "Wir werden die Nacht in dem Zimmer verbringen und Nachforschungen über das Geräusch anstellen, das Sie beunruhigt hat." "Ich glaube, Mr. Holmes, Sie haben bereits einen Entschluß gefaßt", sagte Miss Stoner und legte meinem Gefährten die Hand auf den Arm. "Vielleicht." "Dann sagen Sie doch um Gottes willen, wodurch meine Schwester zu Tode gekommen ist." "Ich ziehe es vor, über eindeutigere Beweise zu verfügen, ehe ich spreche." "Sie könnten mir wenigstens sagen, ob ich recht damit habe, daß sie infolge eines plötzlichen Schrecks gestorben ist." "Das glaube ich nicht. Es gibt wahrscheinlich einen handgreiflicheren Grund. Und jetzt, Miss Stoner, müssen wir Sie verlassen, denn wenn Dr. Roylott zurückkehrt und uns hier sieht, war unsere Reise vergebens. Auf Wiedersehen und seien Sie tapfer. Wenn Sie tun, was ich Ihnen gesagt habe, können Sie versichert sein, daß wir die Schwierigkeiten, die Sie bedrohen, bald vertreiben werden." Es war nicht schwierig für Sherlock Holmes und mich, ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer in der ›Krone‹ zu bekommen. Die Räume lagen im oberen Stock. Vom Fenster aus konnten wir das Tor zur Auffahrt und den bewohnten Flügel des Gutshauses von Stoke Moran überblicken. Es dämmerte schon, als wir Dr. Grimesby Roylott vorüberfahren sahen, seine riesige Gestalt überragte den neben ihm sitzenden kleinen Burschen, der ihn kutschierte. Dem Jungen fiel es ziemlich schwer, das massive eiserne Tor zu öffnen; wir hörten das heisere Gebrüll des Doktors und beobachteten, wie er ihm mit geballten Fäusten drohte. Das Trap fuhr ein und Minuten später sahen wir das Licht in einem der Wohnzimmer aufflammen. Wir saßen beisammen in der zunehmenden Dunkelheit. "Wissen Sie, Watson", sagte Holmes, "ich habe doch Bedenken, Sie heute nacht mitzunehmen. Es zeichnet sich deutlich ein Gefahrenmoment ab." "Wird meine Hilfe gebraucht?" "Ihre Gegenwart könnte unendlich wertvoll sein." "Dann komme ich mit." "Das ist sehr freundlich von Ihnen." "Sie sprechen von Gefahr. Sie haben in dem Zimmer offenbar mehr gesehen, als mir aufgefallen ist." "Nein, aber ich denke, ich habe ein bißchen mehr geschlußfolgert: Ich sollte meinen, daß Sie all das auch gesehen haben, was mir aufgefallen ist." "Ich habe nichts Bemerkenswertes wahrgenommen außer dem Klingelzug, aber was der für einen Zweck erfüllen soll, ist, gestehe ich, mehr, als ich beantworten kann." - "Sie haben doch die Entlüftungsöffnung bemerkt." "Ja, aber ich glaube, daß ein kleines Loch in der Wand zwischen zwei Zimmern nichts so Ungewöhnliches ist. Eine Ratte könnte sich kaum hindurchzwängen." "Ich wußte, daß wir so eine Öffnung finden würden, noch ehe wir nach Stoke Moran kamen." "Mein lieber Holmes!" "Doch, wirklich. Denken Sie daran, daß Miss Stoner in ihrem Bericht erwähnte, ihre Schwester habe den Rauch von Dr. Roylotts Zigarren gerochen. Das legte natürlich sofort die Annähme nahe, es müsse eine Verbindung zwischen den beiden Zimmern geben. Sie konnte nur klein sein, denn sonst wäre sie dem Coroner bei der Untersuchung aufgefallen. Ich schloß auf eine Entlüftung." "Aber was soll sie schon Schlimmes bedeuten?" "Nun, jedenfalls läßt sich ein seltsames Zusammentreffen von Tatsachen feststellen: Man hat eine Entlüftungsöffnung gebrochen, einen Klingelzug angebracht und eine Dame, die in dem Bett schläft, stirbt. Gibt Ihnen das nicht zu denken?" "Ich sehe noch keinerlei Zusammenhang." "Haben Sie an dem Bett etwas Besonderes bemerkt?" "Nein." "Es ist mit Klammern an den Fußboden geheftet. Haben Sie je ein Bett gesehen, das man auf solche Weise festgemacht hätte?" "Das ist mir noch nicht vorgekommen." "Die Dame konnte ihr Bett nicht verrücken. Es blieb immer an diesem Platz unter dem Entlüftungsloch und dem Klingelzug - nennen wir das Ding ruhig so, obwohl es nie als Klingelzug gedacht war." "Holmes", rief ich, "ich glaube, ich erkenne verschwommen, Worauf Sie hinauswollen. Wir sind gerade zurechtgekommen, um ein ausgeklügeltes, schreckliches Verbrechen zu verhindern." "Ja, wirklich, ausgeklügelt und schrecklich. Wenn ein Arzt vom Weg abkommt, dann wird er ein König der Verbrecher. Er besitzt Kaltblütigkeit und Wissen. Palmer und Prichard muß man den besten Köpfen auf dem Gebiet zurechnen. Dieser Mann geht sogar noch gründlicher zu Werk, doch ich denke, Watson, wir sind in der Lage, ihn an Gründlichkeit zu übertreffen. Gewiß werden wir genug Schreckliches erleben, ehe die Nacht herum ist. Deshalb sollten wir in Ruhe eine Pfeife genießen und unsere Gedanken für ein paar Stunden Erfreulicherem zuwenden." Gegen neun Uhr erlosch das Licht zwischen den Bäumen; im Gutshaus wurde es dunkel. Zwei Stunden vergingen quälend langsam, dann leuchtete plötzlich, Schlag elf, ein einzelnes helles Licht auf. "Das ist das Signal für uns", sagte Holmes und sprang auf die Füße, "es kommt vom mittleren Fenster." Bevor wir das Haus verließen, wechselte Holmes einige Worte mit dem Wirt, erklärte ihm, wir wollten einem Bekannten einen späten Besuch abstatten und würden möglicherweise die Nacht bei ihm verbringen. Dann standen wir auf der dunklen Straße; ein kalter Wind blies uns ins Gesicht. Ein einsames Licht flimmerte durch die Finsternis und führte uns hin zu unserem düsteren Abenteuer. Es kostete wenig Mühe, in das Anwesen einzudringen; es waren genug Breschen in der alten Parkmauer. Unser Weg verlief unter Bäumen, dann lag vor uns der Rasen, den wir auch hinter uns brachten. Wir schickten uns gerade an, durch das Fenster ins Haus einzusteigen, da sprang aus einem Lorbeergebüsch etwas hervor, das wie ein gräßliches, mißgestaltes Kind aussah und warf sich mit zuckenden Gliedern ins Gras; aber gleich darauf rannte es munter über den Rasen in das Dunkel. "Mein Gott", flüsterte ich, "haben Sie das gesehen?" Für einen Augenblick war Holmes genauso erschrocken wie ich. In der Aufregung schloß sich seine Hand wie ein Schraubstock um meinen Arm. Doch bald brach er in leises Lachen aus und näherte seinen Mund meinem Ohr. "Ein nettes Haus", murmelte er, "das war der Pavian." Ich hatte die seltsamen Haustiere vergessen, die der Doktor bevorzugte. Da gab es ja auch noch den Leoparden; vielleicht hatten wir demnächst den auf den Schultern. Ich gestehe, ich fühlte mich erleichtert, als ich mich, nachdem ich, Holmes' Beispiel folgend, die Schuhe abgestreift hatte, im Schlafzimmer befand. Mein Gefährte schloß lautlos die Läden, stellte die Lampe auf den Tisch und sah sich in dem Raum um. Alles war wie am Tag. Er kroch zu mir heran, formte die Hände zu einem Trichter und flüsterte mir so leise, daß ich Mühe hatte, die Worte zu hören, ins Ohr: "Das geringste Geräusch ist verhängnisvoll für unseren Plan." Ich nickte zum Zeichen, daß ich ihn verstanden hatte. "Wir müssen uns ohne Licht hinsetzen. Er würde es durch das Entlüftungsloch sehen." Ich nickte wieder. "Schlafen Sie nicht ein. Ihr Leben könnte davon abhängen. Halten Sie die Pistole bereit für den Fall, daß wir sie brauchen. Ich setze mich neben das Bett. Setzen Sie sich auf den Stuhl." Ich zog meine Pistole und legte sie in Reichweite auf den Tisch. Holmes hatte einen langen, dünnen Stock mitgebracht, den er neben sich auf das Bett legte. Dazu tat er eine Streichholzschachtel und einen Kerzenstummel. Dann drehte er die Lampe aus und wir waren im Dunkeln. Wie soll ich jemals diese schreckliche Nachtwache vergessen? Ich vernahm keinen Laut, nicht einmal einen Atemzug und doch wußte ich, daß mein Gefährte sich offenen Auges ein paar Fuß entfernt von mir in genau derselben Nervenanspannung befand wie ich. Die Läden schlossen den geringsten Lichtschein aus: wir warteten in völliger Finsternis. Von draußen drang dann und wann der Schrei eines Nachtvogels herein und einmal hörten wir unter unserem Fenster ein langgezogenes, klageähnliches Mauzen, das uns sagte, daß der Leopard sich tatsächlich frei bewegte. Von weit her hörten wir einen tiefen Ton, wenn die Uhr der Pfarrkirche die Viertelstunden schlug. Wie lange sie dauerten, diese Viertelstunden! Zwölf Uhr, ein Uhr, und dann zwei und drei, und immer noch harrten wir lautlos auf das, was geschehen sollte. Plötzlich sahen wir es in dem Entlüftungsloch aufleuchten, aber das war nur ein flüchtiger Moment; es blieb ein Geruch nach brennendem Öl und erhitztem Metall. Im Nebenraum war eine verdunkelte Laterne angezündet worden. Ich hörte das Geräusch vorsichtiger Bewegungen, dann war wieder Ruhe, nur der Geruch verstärkte sich. Eine halbe Stunde saß ich gespannt lauschend da. Dann gab es auf einmal einen anderen Ton - sehr sanft, lieblich und so anhaltend, als entweiche aus einem Kessel Dampf. In dem Augenblick, da wir dies wahrnahmen, sprang Holmes hoch, riß ein Streichholz an und schlug mit seinem Stock rasend auf den Klingelzug ein. "Sehen Sie, Watson," schrie er, "sehen Sie es?" Aber ich sah nichts. Holmes hatte das Streichholz angerissen und ich hörte das leise, klare Pfeifen, die jäh aufleuchtende Flamme blendete meine übermüdeten Augen, so daß ich unmöglich ausmachen konnte, gegen was mein Freund so wild losdrosch. Ich erkannte nur, daß sein Gesicht totenblaß und vor Schreck und Ekel verzerrt war. Er hatte das Schlagen eingestellt, beobachtete jedoch weiterhin das Entlüftungsloch, als der grauenvollste Schrei, den ich je gehört habe, die Stille der Nacht zerriß. Er wuchs und wuchs, ein heiserer Schrei, in dem sich Schmerz und Angst und Wut mischten. Es wird behauptet, daß dieser Schrei die Leute im Dorf und im noch weiter entfernt gelegenen Pfarrhaus aus den Betten gerissen habe. Uns fuhr er kalt durchs Herz und ich stand da und starrte Holmes an und der starrte mich an, bis das letzte Echo verhallt war und wieder die Stille herrschte, aus der er sich erhoben hatte. "Was mag das bedeuten?" stieß ich hervor. "Das bedeutet: Es ist alles vorbei", antwortete Holmes. "Und vielleicht ist es so das beste. Nehmen Sie Ihre Pistole. Wir gehen ins Zimmer von Dr. Roylott." Mit ernster Miene zündete er die Lampe an und ging über den Korridor voran. Zweimal klopfte er gegen die Tür, ohne Antwort zu bekommen. Dann drückte er die Klinke herunter und trat ein; ich folgte ihm auf den Fersen mit gezückter Pistole. Uns bot sich ein ungewöhnlicher Anblick. Auf dem Tisch stand eine Laterne mit halb geöffneten Blenden - sie warf einen Lichtstrahl auf den Safe, dessen Tür offenstand. Neben dem Tisch saß auf dem Holzstuhl Dr. Grimesby Roylott in einem langen grauen Morgenmantel, aus dem seine nackten Unterschenkel ragten; die Füße steckten in roten türkischen Pantoffeln. Quer über seinem Schoß lag die Hundepeitsche mit dem kurzen Griff und der langen Lasche, die uns am Tage aufgefallen war. Sein Kinn war hochgerissen und die Augen starrten mit fürchterlichem Ausdruck gegen die Decke. Um die Stirn war sehr fest ein eigentümliches gelbes, bräunlich geflecktes Band geschlungen. Er rührte sich nicht, als wir eintraten und gab auch keinen Laut von sich. "Das Band! Das gefleckte Band!" flüsterte Holmes. Ich trat einen Schritt vor. Im selben Moment bewegte sich der seltsame Kopfputz und aus des Mannes Haar stieg der flache, rautenförmige Kopf und der geblähte Hals einer widerwärtigen Schlange. "Es ist eine Sumpfotter!" schrie Hohnes. "Die giftigste Schlange Indiens. Er ist innerhalb zehn Sekunden nach dem Biß gestorben. Gewalt fällt auf den zurück, der Gewalt anwendet und der Ränkeschmied fällt in die Grube, die er dem anderen gegraben hat. Wir wollen die Kreatur in ihre Höhle zurückwerfen und dann können wir Miss Stoner an einen Ort bringen, wo sie in Sicherheit sein wird. Anschließend lassen wir die Polizei wissen, was sich zugetragen hat." Während er sprach, nahm er die Hundepeitsche mit einer schnellen Bewegung vom Schoß des Toten, warf dem Reptil die Schlinge um den Hals, zog es so von seinem fürchterlichen Platz, warf es, wobei er es auf Armeslänge von sich hielt, in den eisernen Safe und schlug hinter ihm die Tür zu. Das sind die wirklichen Geschehnisse um den Tod des Dr. Grimesby Roylott of Stoke Moran. Ich brauche die ohnehin über Gebühr in die Länge gezogene Erzählung nicht dadurch weiter hinzuziehen, daß ich berichte, wie wir der verschreckten jungen Frau die traurige Neuigkeit beibrachten, wie wir sie mit dem Morgenzug der Obhut ihrer gütigen Tante in Harrow übergaben und wie das Untersuchungsgericht nach schleppendem Verlauf zu dem Ergebnis kam, der Doktor habe sein Ende durch unvorsichtiges Spielen mit einem gefährlichen Haustier gefunden. Das Wenige, das es für mich noch aus dem Fall zu lernen gab, faßte Holmes zusammen, als wir am nächsten Tag zurückfuhren. "Ich war", sagte er, "zu völlig irrigen Schlußfolgerungen gekommen, was zeigt, mein lieber Watson, wie gefährlich es immer ist, wenn man von unzureichender Kenntnis der Tatsachen ausgeht. Die Anwesenheit der Zigeuner und die Erwähnung des Wortes Band oder Bande durch das unglückliche Mädchen, das ihr zweifelsohne ein entsetzter Blick auf die Erscheinung im Licht eines Streichholzes eingegeben hat, sind dafür verantwortlich, daß ich auf eine ganz falsche Spur geriet. Ich kann für mich nur das Verdienst in Anspruch nehmen, sofort meine Position überdacht zu haben, nachdem mir klargeworden war, daß die dem Bewohner des Zimmers drohende Gefahr weder durchs Fenster noch durch die Tür kommen konnte. Meine Aufmerksamkeit wurde, wie ich Ihnen gegenüber schon bemerkte, schnell auf diese Entlüftungsöffnung und auf den Klingelzug, der über dem Bett hing, gelenkt. Die Entdeckungen, daß der Zug eine Attrappe war und daß man das Bett am Fußboden befestigt hatte, ließen in mir gleich den Verdacht aufsteigen, der Klingelzug diene als Brücke für etwas, das durch die Öffnung zum Bett gelangen sollte. Sofort kam mir der Gedanke an eine Schlange und als ich ihn mit dem Wissen darum zusammenbrachte, daß der Doktor mit einem Vorrat an Tieren aus Indien versehen war, fühlte ich mich auf der richtigen Fährte. Die Idee, ein Gift zu verwenden, das wahrscheinlich durch chemische Untersuchungen nicht nachgewiesen werden kann, lag für einen schlauen, rücksichtslosen Mann, der eine fernöstliche Schulung durchgemacht hat, nahe. Auch die Raschheit, mit der ein solches Gift wirkt, bedeutete von seinem Standpunkt aus einen Vorteil. Es hätte wirklich eines scharfsichtigen Coroners bedurft, um die beiden kleinen dunklen Punkte zu entdecken, die die Giftzähne hinterlassen. Dann fiel mir das Pfeifen ein. Natürlich mußte er die Schlange zurückrufen, ehe sie, im Tageslicht vielleicht, von dem Opfer entdeckt wurde. Er hatte sie abgerichtet, zu ihm zurückzukehren, wenn er sie rief, wahrscheinlich mit Hilfe der Milch, die wir entdeckt haben. Er brauchte das Tier nur, wann immer es ihm beliebte, an die Entlüftungsöffnung zu bringen und durfte gewiß sein, daß es den Klingelzug hinunterkroch und auf dem Bett landete. Die Bewohnerin mochte gebissen werden oder nicht, konnte vielleicht eine Woche lang Nacht für Nacht dem Anschlag entgehen, aber früher oder später mußte sie ihm zum Opfer fallen. Zu diesen Schlüssen war ich gekommen, noch ehe ich sein Zimmer betreten hatte. Die Untersuchung seines Stuhls enthüllte mir, daß er die Angewohnheit besaß, auf ihn hinaufzusteigen, was er natürlich tun mußte, um an die Entlüftungsöffnung zu reichen. Ein Blick auf den Safe, die Untertasse, mit Milch und die Schlinge in der Hundepeitsche schließlich genügten, jeden Zweifel, der noch geblieben sein mochte, zu zerstreuen. Das metallische Klirren, das Miss Stoner gehört hatte, rührte offenbar daher, daß ihr Stiefvater die Safetür hastig hinter der schrecklichen Insassin zuwarf. Sie wissen, was ich unternahm, um diese Version zu erhärten, nachdem ich mich für sie entschieden hatte. Ich hörte ebenso wie Sie die Kreatur zischen, machte sofort Licht und griff sie an." "Mit dem Ergebnis, daß sie durch die Öffnung zurückgetrieben wurde." "Und auch mit dem Ergebnis, daß sie, durch mein Einschreiten auf die andere Seite zurückgekehrt, sich gegen ihren Meister wandte. Einige meiner Stockschläge trafen und versetzten sie in einen Zustand, wo sie sich auf den ersten stürzte, den sie sah. So bin ich indirekt für Dr. Grimesby Roylotts Tod verantwortlich, aber ich kann nicht behaupten, daß es mir besonders schwer auf dem Gewissen lastet."
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