Повесть «Собака Баскервилей» (Der Hund von Baskerville) на немецком языке |
Повесть «Собака Баскервилей» (Der Hund von Baskerville) на немецком языке – читать онлайн, автор книги – Артур Конан Дойль. Детективная повесть «Собака Баскервилей» - это самое известное произведение Артура Конан Дойля, которое принесло мировую известность своему автору. Позже книга была переведена на многие самые распространённые языки мира, в том числе и на немецкий. Ещё позже, с появлением кино, повесть «Собака Баскервилей» была неоднократно экранизирована в разных странах мира. Весь список книг, переведённых на немецкий язык, а также написанных в оригинале на немецком, вы найдёте в разделе «Книги на немецком». Для детей есть раздел «Сказки на немецком». Для тех, кто самостоятельно изучает немецкий язык по фильмам, создан раздел «Фильмы на немецком языке» (для детей есть раздел «Мультфильмы на немецком языке»). Для тех, кто хочет учить немецкий язык не только самостоятельно, но и с преподавателем, есть нужная информация на странице «Немецкий по скайпу».
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Der Hund von Baskerville
1. KAPITEL Mr. Sherlock Holmes Mr. Sherlock Holmes, der morgens gewöhnlich erst sehr spät zu erscheinen pflegte, wenn er nicht — was keineswegs so selten vorkam—die ganze Nacht aufgeblieben war, saß am Frühstückstisch. Ich stand vor dem Kamin und hob den Spazierstock auf, den unser Besucher am gestrigen Abend vergessen hatte. Es war ein schöner, dicker Stock aus dem Holz der Penang-Palme, dessen Knauf wie eine Zwiebel geformt war. Gerade unter dem zwiebeiförmigen Handgriff war ein etwa 2 cm breites Silberband angebracht. »James Mortimer, M.R.C.S., von seinen Freunden aus dem C.C.H.«, war darauf eingraviert, mit dem Datum »1884«. Es war so ein Spazierstock, wie ihn ein altmodischer Hausarzt mitzunehmen pflegte — würdevoll, solide und vertrauenerweckend. »Na, Watson, was halten Sie davon?« Holmes saß mit dem Rücken zu mir, und ich hatte ihm keinerlei Hinweis gegeben, womit ich mich beschäftigte. »Wie können Sie wissen, was ich gerade tue? Ich glaube, Sie haben Augen im Hinterkopf.« »Wenigstens habe ich eine gut polierte silberne Kaffeekanne vor mir stehen«, sagte er. »Aber sagen Sie, Watson, was schließen Sie aus dem Spazierstock unseres Besuchers? Da wir ihn unglücklicherweise verpaßt haben und nicht wissen, was er wollte, wird dieses zufällige Souvenir sehr wichtig. Schauen Sie sich den Spazierstock genau an und beschreiben Sie mir dann den Mann, dem er gehört. Nun, lassen Sie mal hören!« »Ich denke«, sagte ich und hielt mich bei meinem Versuch, ein Bild des Unbekannten zu rekonstruieren, weitgehend an Holmes' Methoden, »Dr. Mortimer ist ein erfolgreicher, älterer Mediziner und muß hochgeschätzt sein, da diejenigen, die ihn kennen, ihm ein solches Zeichen ihrer Dankbarkeit vermachen.« »Gut!« sagte Holmes. »Ausgezeichnet!« »Ich glaube auch, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach Landarzt ist und viele seiner Besuche zu Fuß macht.« »Warum?« »Weil dieser Spazierstock, der ursprünglich einmal sehr elegant gewesen sein muß, so viele Zeichen des Gebrauchs aufweist, daß ich mir kaum vorstellen kann, daß der Besitzer ein Stadtarzt ist. Die dicke Eisenspitze ist ganz abgewetzt; somit ist mir klar, daß mit ihm viele Fußmärsche unternommen worden sind.« »Völlig einleuchtend!« sagte Holmes. »Und dann ist da auch dieses >Freunde aus dem C. C. H.<. Ich möchte annehmen, daß das etwas mit Hegen und Jagen zu tun hat, so ein örtlicher Jagdverein, dessen Mitgliedern er möglicherweise als Arzt zur Verfügung stand und die ihm dann diesen Stock als kleine Gegengabe verehrt haben.« »Wirklich, Watson, Sie übertreffen sich selbst«, sagte Holmes, schob seinen Stuhl zurück und zündete sich eine Zigarette an. »Ich muß feststellen, daß Sie in Ihren Erzählungen und Berichten, die Sie freundlicherweise mir und meinen kleinen Erfolgen gewidmet haben, gewöhnlich Ihre eigenen Fähigkeiten unterschätzt haben. Es mag sein, daß Sie selbst zwar keine Leuchte sind, aber Sie sind so etwas wie ein elektrischer Draht -ein Lichtträger. Manche Leute, die den Genius selbst nicht besitzen, haben dafür eine bemerkenswerte Gabe, ihn bei anderen zu stimulieren. Gestatten Sie mir, alter Kampfgenosse, Ihnen zu sagen, daß ich Ihnen sehr zu Dank verpflichtet bin.« So etwas hatte er vorher noch nie gesagt, und ich muß gestehen, daß mich seine Worte wirklich riesig freuten. Denn es hatte mich oft gekränkt, daß er meiner Bewunderung wie auch meinen publizistischen Versuchen, seine Methoden öffentlich bekannt zu machen, so gleichgültig begegnet war. Ich war stolz darauf, sein System soweit zu meistern, daß ich es in einer Weise anwenden konnte, die seine Zustimmung fand. Er nahm nun den Spazierstock aus meinen Händen und untersuchte ihn einige Minuten mit bloßem Auge. Dann legte er mit einem Ausdruck von Interesse die Zigarette hin und besah sich noch einmal den Spazierstock mit der Lupe, indem er zum Fenster ging. »Interessant, wenn auch elementar«, sagte er, als er zu seinem Lieblingsplatz auf dem Sofa zurückkehrte. »Da sind gewiß ein oder zwei Hinweise auf dem Stock, an die man sich halten kann. Wir haben damit den Ausgangspunkt für mehrere Schlußfolgerungen.« »Habe ich etwas übersehen?« fragte ich mit einem gewissen Selbstbewußtsein. »Ich hoffe, es ist nichts von besonderer Wichtigkeit, was ich übersehen habe?« »Mein lieber Watson, ich fürchte, daß alle Ihre Schlußfolgerungen falsch sind. Wenn ich vorhin sagte, daß Sie mich stimulieren, so meinte ich, um ehrlich zu sein, daß ich durch Ihre Irrtümer und Trugschlüsse gelegentlich der Wahrheit näher kam. Nicht, daß Sie in diesem Fall ganz und gar Unrecht hätten. Der Mann ist sicherlich ein Landarzt. Und er läuft sehr viel zu Fuß.« »Dann hatte ich also recht.« »Soweit, ja.« »Aber das war doch alles!« »Nein, mein lieber Watson, keineswegs war das alles. Ich würde zum Beispiel meinen, daß ein Geschenk an einen Arzt eher von einem Krankenhaus kommt als von einem Jagdclub, und wenn die Initialen >C. C.< vor >Hospital< gesetzt werden, so bieten sich die Wörter >Charing Cross< ganz natürlich an.« »Sie mögen recht haben.« »Die Wahrscheinlichkeit liegt in dieser Richtung, und wenn wir dies als Arbeitshypothese annehmen, haben wir einen neuen Ausgangspunkt, um ein Bild von diesem unbekannten Besucher zusammenzusetzen.« »Also gut, angenommen, daß >C. C. H.< für >Charing Cross Hospital< steht, welche weiteren Schlüsse können wir ziehen?« »Bieten sie sich nicht von selbst an? Sie kennen meine Methoden. Wenden Sie sie an!« »Ich kann daraus nur folgern, daß der Mann offensichtlich in London praktiziert hat, bevor er aufs Land ging.« »Ich denke, daß wir uns durchaus noch ein wenig weiter wagen dürfen. Betrachten Sie es einmal in diesem Licht: Bei welcher Gelegenheit würde man denn möglicherweise ein solches Geschenk machen? Wann würden seine Freunde sich zusammentun, um ihm dies Zeichen ihrer Zuneigung zu übergeben? Doch sicher in dem Augenblick, als Dr. Mortimer sich aus dem Krankenhausdienst zurückzog, um eine eigene Praxis zu gründen. Nehmen wir an, es hat ein Wechsel vom Stadtkrankenhaus zu einer Landpraxis stattgefunden. Gehen wir in unserer Annahme zu weit, wenn wir sagen, daß bei der Gelegenheit dieses Wechsels der Stock als Abschiedsgeschenk überreicht wurde?« »Das ist sehr wohl möglich.« »Nun, es wird Ihnen klar sein, daß er nicht zu den leitenden Ärzten des Krankenhauses gehört haben kann, denn solch eine Stelle bekommt nur ein Mann mit einer gutsituierten Londoner Praxis, und so einer wird sich nicht aufs Land treiben lassen. Was war er dann? Wenn er im Krankenhaus tätig war und nicht zur Leitung gehörte, kann er nur Assistenzarzt gewesen sein, wenig mehr als ein Student im letzten Semester. Und er verließ das Krankenhaus vor fünf Jahren - das Datum steht auf dem Stock. Damit löst sich Ihr seriöser Hausarzt mittleren Alters in Luft auf, mein lieber Watson, und hervor kommt ein junger Mann, wenig mehr als dreißig Jahre alt, freundlich, ohne Ehrgeiz, manchmal geistesabwesend und Besitzer eines Hundes, der, grob beschrieben, größer als ein Terrier und kleiner als eine Dogge ist.« Ich lachte ungläubig, während Sherlock Holmes sich im Sofa zurücklehnte und kleine Rauchringe zur Zimmerdecke aufsteigen ließ. »Was den letzten Teil anbelangt, ist es mir unmöglich, Ihnen zu widersprechen, doch dürfte es nicht schwer sein, ein paar Einzelheiten über Alter und beruflichen Werdegang des Mannes festzustellen.« Aus meiner kleinen medizinischen Handbibliothek zog ich ein medizinisches Namensregister hervor und blätterte die Namen durch. Es waren mehrere Mortimers verzeichnet, aber nur ein einziger paßte auf unseren Besucher. Ich las den Eintrag laut vor: »Mortimer, James, M.R.C.S., 1882, Grimpen, Dartmoor, Devon. Chirurgie-Assistent von 1882 bis 1884 am Charing Cross Hospital. Gewann den Jackson-Preis für vergleichende Pathologie mit dem Aufsatz >Ist Krankheit eine Entartung?< Korrespondierendes Mitglied der Schwedischen Pathologischen Gesellschaft. Autor von >Einige merkwürdige Mißbildungen (Lancet, 1882). >Gibt es einen Fortschritt?< (Psychologisches Journal, März 1883). Amtsarzt für die Gemeinden Grimpen, Thorsley und High Barrow.« »Kein örtlicher Jagdverein ist erwähnt, Watson«, sagte Holmes mit spitzbübischem Lächeln, »aber ein Landarzt, wie Sie sehr richtig bemerkt haben. Ich denke, daß ich mit meinen Annahmen ziemlich richtig lag. Was die Adjektive betrifft, so sagte ich, wenn ich mich recht erinnere: freundlich, ohne Ehrgeiz und geistesabwesend. Nach meiner Erfahrung erhält in unserer Welt nur ein freundlicher Mensch Zeichen der Wertschätzung, nur ein Mann ohne beruflichen Ehrgeiz gibt eine Londoner Karriere auf, um aufs Land zu ziehen, und nur ein geistesabwesender Mensch läßt seinen Spazierstock statt seiner Visitenkarte zurück, nachdem er eine Stunde in Ihrem Zimmer gewartet hat.« »Und der Hund?« »Der hat die Angewohnheit, seinem Herrn den Stock hinterherzutragen. Da es sich um einen dicken Stock handelt, der sein Gewicht hat, faßt der Hund ihn in der Mitte, denn die Abdrücke seiner Zähne sind sehr deutlich zu sehen. Der Kiefer des Hundes, wie man ihn an dem Zwischenraum zwischen den Abdrücken erkennen kann, ist nach meiner Meinung zu breit für einen Terrier, aber nicht breit genug für eine Dogge. Es könnte sich um — ja, mein Gott, es ist ein langhaariger Spaniel.« Er war aufgestanden und lief durch das Zimmer, während er sprach. Nun blieb er in der Fensternische stehen. Seine Stimme klang so überzeugt, daß ich überrascht aufsah. »Mein lieber Freund, wie können Sie so sicher sein?« »Aus dem einfachen Grund, weil ich den Hund vor unserer Haustür sehe, und da klingelt sein Besitzer auch schon. Bitte, Watson, bleiben Sie. Es ist ein Berufskollege von Ihnen, Ihre Gegenwart könnte hilfreich sein. Da haben wir jetzt den dramatischen Augenblick im Leben, Watson, wenn Sie Schritte auf der Treppe hören, Schritte, die in Ihr Leben hineinschreiten, und Sie wissen nicht, ob es gut oder böse enden wird. Was wird der junge Mann der Naturwissenschaft Dr. James Mortimer den Spezialisten in Sachen Kriminalität Sherlock Holmes fragen wollen? -Herein bitte!« Das Erscheinen unseres Besuchers war eine Überraschung für mich, da ich einen typischen Landarzt erwartet hatte. Es war ein sehr großer, schlanker Mann mit einer langen Nase, die einem Schnabel glich. Sie ragte zwischen zwei aufmerksamen Augen hervor, welche dicht beieinanderstanden und hinter goldgeränderten Brillengläsern hervorblitzten. Er war zwar seinem Beruf entsprechend angezogen, aber seine Kleidung wirkte abgetragen; der Gehrock war abgewetzt, und die Hosen waren ausgefranst. Obgleich jung, war sein langer Rücken schon gebeugt. Er ging mit vorgeschobenem Kopf und in einer Haltung, die Wohlwollen ausstrahlte. Als er eintrat, fiel sein Blick auf den Stock in Holmes' Hand, und mit einem Ausruf der Freude lief er auf ihn zu. »Was bin ich froh!« sagte er. »Ich war nicht sicher, ob ich ihn hier vergessen hatte oder im Büro der Schiffsagentur. Nicht um alles in der Welt möchte ich diesen Stock verlieren.« »Ein Geschenk, nicht wahr?« sagte Holmes. »Ja, Sir.« »Vom Charing Cross Hospital?« »Von einigen Freunden dort zu meiner Hochzeit.« »Herrje! Das ist schlecht!« sagte Holmes und schüttelte den Kopf. Dr. Mortimer blinzelte ihn durch seine Brille mit mildem Erstaunen an. »Warum? Was war daran schlecht?« »Nur dies, daß Sie unsere kleine Folge von Deduktionen durcheinander gebracht haben. Zu Ihrer Hochzeit, sagten Sie?« »Ja, Sir. Ich heiratete und verließ das Charing Cross Hospital und damit alle Aussicht auf eine Praxis als Facharzt in London. Es war notwendig, ein eigenes Heim zu gründen.« »Na also, dann liegen wir doch nicht so ganz falsch«, sagte Holmes. »Und nun, Dr. James Mortimer —« »Mister, Sir, Mister — ein schlichter M.R.C.S. »Und offensichtlich ein Mann mit scharfem Verstand.« »Einer, der sich in der Wissenschaft versucht hat, Mr. Holmes, einer, der am Strand des großen, unbekannten Ozeans die Muscheln aufhebt. Ich nehme an, daß ich mit Mr. Sherlock Holmes rede und nicht —« »Das ist mein Freund, Dr. Watson.« »Erfreut, Sie kennenzulernen, Sir. Ich habe Ihren Namen in Verbindung mit dem Ihres Freundes schon gehört. Sie interessieren mich sehr, Mr. Holmes. Ich hätte eine so langschädlige Kopfform und eine so hohe Stirn kaum erwartet. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich die Form Ihres Schädels einmal abtaste? Ihr Schädel in Gips, ehe das Original zu haben ist, würde jedem anthropologischen Museum zur Zierde gereichen. Es ist keineswegs meine Absicht, Ihnen hier Komplimente zu machen, doch ich gestehe, daß es mich nach Ihrem Schädel gelüstet.« Mit einer Handbewegung lud Sherlock Holmes unseren seltsamen Gast ein, Platz zu nehmen. »Es scheint, Sir, Sie widmen sich genau so begeistert Ihrem Fachgebiet, wie ich mich dem meinen«, sagte er. »An Ihrem Zeigefinger sehe ich, daß Sie sich selbst Ihre Zigaretten drehen. Tun Sie sich keinen Zwang an, wenn Sie rauchen möchten.« Der Mann holte Papier und Tabak hervor und drehte sich mit überraschender Geschicklichkeit eine Zigarette. Er hatte lange, behende Finger, nervös und ruhelos wie die Fühler eines Insekts. Holmes schwieg, aber seine Augen, die immer wieder kurz zu unserem seltsamen Besucher hinblitzten, zeigten Interesse. »Ich vermute, Sir«, sagte er schließlich, »daß Sie nicht nur meinen Schädel untersuchen wollten, als Sie mich gestern abend und heute morgen aufgesucht haben?« »Nein, Sir, keineswegs; obgleich ich glücklich bin, daß ich dazu Gelegenheit hatte. Nein, ich kam zu Ihnen, Mr. Holmes, weil mir bewußt ist, daß ich selbst ein unpraktischer Mensch bin und mich nun plötzlich einem äußerst ernsten und ungewöhnlichen Problem gegenüber sehe. Da mir bekannt ist, daß Sie der zweitgrößte Experte Europas sind—« »So? Was Sie nicht sagen, Sir! Darf ich mich erkundigen, wer die Ehre hat, der größte zu sein?« fragte Holmes etwas schroff. »Jedem, der wissenschaftlich exakt zu denken gewohnt ist, muß das Werk von Monsieur Bertillon Eindruck machen.« »Dann sollten Sie besser ihn konsultieren.« »Sir, ich sagte: jedem, der wissenschaftlich exakt zu denken gewohnt ist. Er spricht mich als Theoretiker an. Aber als Praktiker, weiß man, sind Sie unübertroffen. Ich hoffe, Sir, daß ich Sie nicht versehentlich—« »Nur ein bißchen«, sagte Holmes. »Ich denke, Dr. Mortimer, daß es das Klügste ist, wenn Sie mir freundlicherweise jetzt ohne alle weiteren Umschweife schlicht und einfach darlegen, was genau Ihr Problem ist und in welcher Weise Sie von mir Hilfe erwarten.«
2. KAPITEL Der Fluch von Baskerville »Ich habe ein Manuskript bei mir«, sagte Dr. James Mortimer. »Ich habe es bemerkt, als Sie hereinkamen«, sagte Holmes. »Es ist ein altes Manuskript.« »Frühes achtzehntes Jahrhundert, falls es nicht eine Fälschung ist.« »Wie können Sie das sagen, Sir?« »Die ganze Zeit, während Sie sprachen, haben Sie mir ein paar Zentimeter davon, die aus Ihrer Jacke herausragten, zur Untersuchung präsentiert. Das wäre ein armseliger Experte, der ein Dokument nicht datieren könnte, mag er sich auch um zehn Jahre oder so irren. Vielleicht haben Sie meine kleine Monographie über dieses Fachgebiet gelesen. Ich denke bei diesem an 1730.« »Das genaue Datum ist 1742.« Dr. Mortimer zog es aus seiner Brusttasche. »Diese Familienpapiere wurden mir von Sir Charles Baskerville, dessen plötzlicher und tragischer Tod vor etwa drei Monaten in Devonshire so viel Aufregung verursacht hat, zur Aufbewahrung übergeben. Ich darf wohl sagen, daß ich ebenso sein persönlicher Freund wie auch sein Arzt war. Er war ein willensstarker Mann, gewitzt, praktisch und so phantasielos wie ich selbst. Dennoch nahm er dieses Dokument sehr ernst und war im Grunde auf ein solches Ende vorbereitet, wie es ihn schließlich auch ereilt hat.« Holmes streckte seine Hand nach dem Manuskript aus und strich es dann auf seinen Knien glatt. »Watson, bemerken Sie den abwechselnden Gebrauch des langen und des kurzen >s<? Das ist einer von mehreren Hinweisen, die es mir ermöglichen, das Datum zu bestimmen.« Über seine Schulter schaute ich auf das gelbliche Papier und die verblichene Schrift. Zuoberst stand geschrieben: »Baskerville Hall«, und darunter in großen, krakeligen Ziffern die Jahreszahl: »1742«. »Es sieht aus wie ein Protokoll, ein Bericht oder so etwas ähnliches.« »Ja, es ist die schriftliche Aufzeichnung einer bestimmten Sage, die in der Baskerville-Familie überliefert wird.« »Aber ich nehme doch zu Recht an, daß es um Dinge geht, die neueren Datums sind, eine Angelegenheit, bei der ich tätig werden kann und in der Sie mich zu konsultieren wünschen?« »Ja, brandneu. Eine äußerst dringende Angelegenheit, die unmittelbar etwas mit Ihrer Praxis zu tun hat und in den nächsten vierundzwanzig Stunden entschieden werden muß. Aber das Manuskript ist kurz und steht mit der Sache in engem Zusammenhang. Wenn Sie erlauben, will ich es Ihnen vorlesen.« Holmes lehnte sich in seinen Sessel zurück, hielt seine Hände in der typischen Art, so daß nur die Fingerspitzen sich berührten, und schloß mit einem Ausdruck von Resignation die Augen. Dr. Mortimer wandte sich mit dem Manuskript dem Licht zu und las mit hoher, brüchiger Stimme folgende seltsame Geschichte aus längst vergangenen Tagen: »Über das Auftreten des Hundes von Baskerville gibt es viele Berichte. Da ich in direkter Linie von Hugo Baskerville abstamme und diese Geschichte von meinem Vater erfahren habe und der wiederum von dem seinen, bin ich dessen ganz gewiß, daß es so geschah, wie ich es hier aufzeichne. Und es ist mein Wunsch, daß Ihr, meine Söhne, glaubt, daß dieselbe Gerechtigkeit, welche Sünde straft, sie ebenso großmütig vergibt. Kein Bann ist so schwerwiegend, daß er nicht durch Gebet und Reue aufgehoben werden könnte. Lernt also aus dieser Geschichte nicht etwa, die Früchte der Vergangenheit zu fürchten, sondern vielmehr in Zukunft darauf bedacht zu sein, daß solche üblen Leidenschaften, die unserer Familie so schweren Schaden zugefügt haben, nicht noch einmal entfesselt werden, was unweigerlich zu unserem Ruin führen würde. Wisset denn, daß zur Zeit der großen Revolution (deren Geschichte, geschrieben von dem gelehrten Lord Clarendon, ich dringend Eurer Aufmerksamkeit empfehle) dieses Herrenhaus von Baskerville einem gewissen Hugo, Träger des gleichen Namens, gehörte. Es ist leider nicht zu leugnen, daß er ein sehr wilder, aufs Diesseitige gerichteter, gottloser Mann war. Dies würden ihm seine Nachbarn noch verziehen haben, wußten sie doch, daß es in dieser Gegend nie viele Heilige gegeben hatte. Aber da gab es bei ihm gewisse merkwürdige Gelüste und einen Hang zur Grausamkeit, weshalb sein Name als warnendes Beispiel im ganzen Westen sprichwörtlich geworden ist. Es geschah nun, daß dieser Hugo in Liebe zu einer Bauerntochter aus der Nachbarschaft entbrannte (wenn überhaupt mit einem so leuchtenden Wort seine finstere Leidenschaft benannt werden darf). Aber die junge Maid, die züchtig und gut beleumdet war, wich ihm beständig aus, denn sie fürchtete seinen bösen Namen. So geschah es denn, daß dieser Hugo an einem Michaelistag sich mit fünf oder sechs seiner nichtsnutzigen Gesellen zu dem Bauernhaus schlich und die Maid mit sich schleppte, denn ihr Vater und ihre Brüder waren zu diesem Zeitpunkt, wie er wohl wußte, nicht zu Hause. Als man sie zum Herrenhaus gebracht hatte, wurde das Mädchen in eine der oberen Kammern eingeschlossen, während Hugo und seine Kumpanen sich zu einem langen Saufgelage niederließen, wie sie es jede Nacht taten. Nun, das arme Mädchen war nahe daran, den Verstand zu verlieren bei all dem Singen, Grölen und fürchterlichen Fluchen, das aus den unteren Räumen heraufdrang. Denn die Wörter, die Hugo Baskerville gebrauchte, wenn er betrunken war, waren derart, daß sie den Mann, der sie sprach, in die ewige Verdammnis bringen konnten. Schließlich, als ihre Angst am größten war, tat das arme Mädchen etwas, was der tapferste und mutigste Mann kaum gewagt haben würde: Sie kletterte mit Hilfe des dichtgewachsenen Efeus, der noch heute die Südwand bedeckt, von hoch oben unter den Dachrinnen, wo man sie eingeschlossen hatte, herunter und lief heimwärts quer durch das Moor. Vom Herrenhaus zu ihrem väterlichen Hof waren es etwa neun Meilen. Der Zufall wollte es, daß kurze Zeit später Hugo seine Gäste verließ, um seiner Gefangenen etwas zu essen und zu trinken zu bringen — falls er nicht noch andere, schlimmere Dinge vorhatte. Er fand den Käfig leer und den Vogel ausgeflogen. Da wurde er, so scheint es, wie vom Teufel besessen, raste die Treppe hinunter in den Eßsaal, sprang auf den großen Tisch, daß Karaffen und Teller umfielen, und schrie laut vor der ganzen Gesellschaft, daß er noch in dieser Nacht Leib und Seele den Mächten des Bösen vermache, wenn er das Mädchen noch einholen könne. Während die Zechbrüder ganz sprachlos und entsetzt auf den Rasenden starrten, rief einer, der noch verruchter, vielleicht auch nur noch betrunkener war als die übrigen, man solle die Hunde auf sie hetzen. Darauf stürzte Hugo aus dem Haus und rief den Pferdeknechten zu, sie sollten seine Stute satteln und die Meute aus dem Zwinger lassen. Er warf den Hunden ein Kopftuch des Mädchens vor, womit er sie auf ihre Spur brachte, und ab ging es mit lautem Gekläff und Geschrei im Mondschein über das Moor. Eine Weile standen die Zechgenossen wie erstarrt und konnten nicht ganz begreifen, was sich da eben mit solcher Schnelligkeit abgespielt hatte. Aber allmählich dämmerte es in ihren abgestumpften Gehirnen, welche Art von Unternehmen jetzt im Moorland auszuführen sei. Nun war alles in Aufruhr: Einige riefen nach ihren Pistolen, andere nach ihren Pferden und wieder andere nach einer Flasche Wein. Doch schließlich kehrte in ihre umnebelten Köpfe etwas Verstand zurück, und alle zusammen, dreizehn an der Zahl, bestiegen die Pferde und nahmen die Verfolgung auf. Bei klarem Mondschein ritten sie, Seite an Seite, in die Richtung, die das Mädchen eingeschlagen haben mußte.Sie waren wohl ein oder zwei Meilen geritten, als sie einem der Schafhirten begegneten, die nachts auf dem Moor sind. Sie riefen ihm zu, ob er nicht einen Reiter mit Hunden gesehen habe. Und der Mann, so berichtet die Geschichte, war so verrückt vor Angst, daß er kaum sprechen konnte. Aber schließlich brachte er doch so viel heraus, daß er ihnen bestätigte, er habe tatsächlich das unglückliche Mädchen, verfolgt von der Meute, gesehen. >Aber ich habe mehr als das gesehen<, sagte er, >denn Hugo Baskerville ritt auf seiner schwarzen Stute an mir vorbei, und hinter ihm lief lautlos ein solch riesiger Höllenhund, wie er mir -das verhüte Gott — hoffentlich nie auf den Fersen sein wird.< Die betrunkenen Junker fluchten, verwünschten den Schafhirten und ritten weiter. Aber bald gefror ihnen das Blut in den Adern, denn ihnen entgegen galoppierte die schwarze Stute, mit weißem Schaum bedeckt. Der Zügel schleifte, und der Sattel war leer. Da scharten sich die reitenden Trinkfreunde noch enger zusammen, denn große Furcht hatte sie gepackt. Doch folgten sie immer noch der Spur über das Moor, obgleich jeder, wäre er allein gewesen, recht gern den Kopf seines Pferdes in die andere Richtung gelenkt hätte. Als sie langsam weiterritten, stießen sie schließlich auf die Hunde. Obwohl ihre Rasse für ihren Kampfesmut bekannt ist, winselten sie, zu einem Haufen gedrängt, am oberen Ende eines tiefen Grabens oder Loches; einige schlichen davon, andere starrten, zum Sprung bereit, in die enge Schlucht vor ihnen. Die Gesellschaft hatte haltgemacht. Wie man sich denken kann, waren die Männer jetzt nüchterner als beim Aufbruch. Die meisten wollten nun auf gar keinen Fall mehr weiter. Aber drei von ihnen, die kühnsten vielleicht oder auch nur die betrunkensten, ritten stracks die Schlucht hinunter. Nun, diese verbreiterte sich zu einem geräumigen Platz, wo zwei jener großen Steine standen, die man heute noch dort sehen kann, in grauer Vorzeit von irgendwelchen längst vergessenen Leuten dort hingesetzt. Der Mond schien hell auf den freien Platz. Dort, in der Mitte des Platzes, lag das unglückliche Mädchen, wie es hingefallen war, gestorben vor Angst und Erschöpfung. Aber es war nicht der Anblick ihrer Leiche, noch war es der der Leiche Hugo von Baskervilles, die dicht neben der ihren lag, was den drei Liederjanen, die sonst den Teufel nicht fürchteten, die Haare zu Berge stehen ließ. Es war ein Etwas, das über Hugo Baskerville stand und an seinem Hals riß. Da stand ein entsetzliches Ungetüm, ein großes, schwarzes Tier, seiner Form nach wie ein Jagdhund und doch viel größer als jeder Hund, auf dem je ein sterbliches Auge geruht hat. Und während sie noch da standen und schauten, biß das Ungetüm Hugo Baskerville die Gurgel durch. Darauf wandte es seine glühenden Augen und sein bluttriefendes Maul ihnen zu. Die drei schrien und kreischten vor Furcht und ritten ums liebe Leben quer durch das Moor. Einer von ihnen, sagt man, sei noch in der gleichen Nacht vor Schreck über das, was er gesehen hatte, gestorben, und die anderen zwei waren gebrochene Leute für den Rest ihres Lebens. Meine Söhne, das ist die Geschichte vom Auftauchen des Hundes, von dem es heißt, daß er die Familie seither so oft geplagt hat. Ich habe dies nun niedergeschrieben, weil ich meine, daß Dinge, die klar bekannt sind, weniger Furcht einflößen als das, was man bloß andeutet und vermutet. Es kann auch nicht geleugnet werden, daß so mancher in der Familie auf plötzliche, blutige und mysteriöse Weise eines unglücklichen Todes gestorben ist. Doch wollen wir Schutz suchen bei der unendlichen Güte der Vorsehung, die nicht für alle Zeit und über die dritte oder vierte Generation hinaus die Unschuldigen straft, wie es in der Heiligen Schrift angekündigt ist. Meine Söhne, dieser Vorsehung befehle ich Euch hiermit an, und ich rate Euch, aus Gründen der Vorsicht davon abzusehen, in jenen dunklen Stunden, wenn die Mächte des Bösen losgelassen sind, über das Moor zu gehen. (Dieses wurde aufgeschrieben von Hugo Baskerville für seine Söhne Rodger und John mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß sie ihrer Schwester Elisabeth nichts davon sagen.)« Als Dr. Mortimer mit dem Lesen dieser einmaligen Geschichte fertig war, schob er seine Brille auf die Stirn und starrte Mr. Sherlock Holmes an. Dieser gähnte und warf das Ende seiner Zigarette ins Feuer.»Nun?« sagte er. »Finden Sie das nicht interessant?« »Gewiß, für einen Märchensammler.« Dr. Mortimer zog eine gefaltete Zeitung aus der Brusttasche. »Mr. Holmes, jetzt werde ich Ihnen etwas unterbreiten, das etwas jüngeren Datums ist. Dies ist die Devon County Chronicle vom 14. Mai dieses Jahres. Sie enthält eine kurze Zusammenfassung der Tatsachen, die zu Sir Charles Baskervilles Tod geführt haben, der sich ein paar Tage vor diesem Datum ereignet hat.« Mein Freund beugte sich ein wenig vor, und sein Gesichtsausdruck wurde gespannt. Unser Gast rückte seine Brille zurecht und begann: »Der plötzliche Tod des kürzlich verstorbenen Sir Charles Baskerville, dessen Name als möglicher Kandidat der Liberalen Partei für Mittel-Devon genannt wurde, hat einen dunklen Schatten über das Land geworfen. Obgleich Sir Charles erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit auf Schloß Baskerville lebte, haben sein liebenswürdiger Charakter und seine unvergleichliche Großzügigkeit die Zuneigung und Achtung aller gewonnen, die mit ihm in Berührung kamen. In dieser Zeit der Neureichen tut es gut mitzuerleben, wie der Sproß einer alten Familie, dem eine harte Zeit beschert war, ein eigenes Vermögen erwirbt und es heimbringt, um die glanzvollen Zeiten seiner Sippe Wiederaufleben zu lassen. Wie allgemein bekannt ist, erwarb Sir Charles durch Spekulationen in Südafrika ein großes Vermögen. Er war weise genug, nicht so lange weiterzumachen, bis das Glück sich gegen ihn wandte, nahm seinen Gewinn und kam damit nach England zurück. Es ist erst zwei Jahre her, daß er sich auf Schloß Baskerville niederließ. Seine großen Umbau- und Renovierungspläne, deren Durchführung nun sein Tod verhindert hat, waren das Tagesgespräch der ganzen Gegend. Da er selbst keine Kinder hatte, war es sein offen ausgesprochener Wunsch, daß Zeit seines Lebens der ganze Landkreis an seinem Wohlstand teilhaben sollte, und viele werden aus ganz persönlichen Gründen sein viel zu frühes Ende beklagen. Von seinen großzügigen Spenden für wohltätige Zwecke am Ort und in der Grafschaft ist in diesen Spalten oft berichtet worden. Man kann nicht sagen, daß die Umstände, die zu Sir Charles Tod geführt haben, durch die behördlichen Untersuchungen restlos geklärt sind, aber so viel steht wenigstens fest: Alle durch einen lokalen Aberglauben veranlaßten Gerüchte haben sich als völlig haltlos erwiesen, so daß man ihnen entschieden entgegentreten kann. Es gibt nicht den geringsten Grund, ein Verbrechen zu vermuten oder anzunehmen, daß der Tod auf eine andere als natürliche Ursache zurückzuführen sei. Sir Charles war Witwer und ein Mann, den man in mancher Hinsicht als etwas exzentrisch bezeichnen kann. Trotz seines beachtlichen Reichtums lebte er persönlich sehr einfach, und die Dienerschaft im Schloß bestand nur aus einem Ehepaar namens Barrymore. Der Ehemann versah den Posten des Butlers, seine Frau war als Haushälterin tätig. Ihre Aussage, bestätigt durch das Zeugnis mehrerer Freunde, läßt erkennen, daß Sir Charles' Gesundheit schon seit längerer Zeit angegriffen war, und deutet insbesondere auf ein Herzleiden hin, was sich im häufigen Wechsel der Gesichtsfarbe, Atemnot und heftigen Attacken von Gemütsdepressionen zeigte. Dr. James Mortimer, Freund und Hausarzt des Verstorbenen, hat seine Aussage im gleichen Sinne gemacht. Die Tatsachen dieses Falles sind einfach. Sir Charles Baskerville hatte die Gewohnheit, jeden Abend, bevor er zu Bett ging, noch einen Spaziergang zu unternehmen, und zwar ging er stets die berühmte Taxusallee von Baskerville Hall hinunter. Aus der Aussage der Barrymores geht deutlich hervor, daß dies eine Gewohnheit von ihm war. Am 4. Mai hatte Sir Charles seine Absicht kundgetan, am nächsten Tag nach London aufzubrechen, und er hatte Barrymore Weisung gegeben, die Koffer zu packen. An diesem Abend ging er wie gewöhnlich zu seinem abendlichen Spaziergang aus, auf dem er noch eine Zigarre zu rauchen pflegte. Er kam nicht wieder zurück. Als Barrymore um Mitternacht entdeckte, daß die Haustür immer noch offen stand, erschrak er, zündete eine Laterne an und ging los, seinen Herrn zu suchen. Tags zuvor hatte es geregnet, und man konnte Sir Charles' Fußspuren die Allee hinunter leicht verfolgen. Auf halbem Wege befindet sich eine Pforte, die aufs Moor hinausführt. Daß Sir Charles hier eine kurze Weilegestanden haben mußte, dafür gab es deutliche Anzeichen. Danach war er weiter die Allee hinuntergegangen, und an derem äußersten Ende fand man seinen Leichnam. Was man sich bis jetzt nicht zu erklären weiß, ist die Aussage Barrymores, daß sich seines Herrn Fußspuren von dem Augenblick an, als er die Pforte zum Moor hinter sich ließ, veränderten. Von da an sah es so aus, als sei er auf Zehenspitzen weitergegangen. Ein gewisser Murphy, Zigeuner und Pferdehändler, hielt sich zu der Zeit in nicht allzu großer Entfernung auf dem Moor auf, doch scheint er, wie er selbst zugab, ziemlich betrunken gewesen zu sein. Er erklärte, daß er Schreie gehört habe, aber es war ihm unmöglich zu sagen, aus welcher Richtung sie gekommen waren. An der Person Sir Charles' waren keinerlei Anzeichen von Gewaltanwendung zu entdecken, wenn auch der Arzt in seiner Aussage auf eine fast unglaubliche Verzerrung des Gesichtes hinwies. Sie war so groß, daß Dr. Mortimer es zunächst kaum glauben konnte, daß es tatsächlich sein Freund und Patient war, der da vor ihm lag. Dazu wurde jedoch erklärt, daß dies ein Symptom sei, das man in gewissen Fällen von Herzasthma und bei Tod durch Herzschwäche nicht selten antreffe. Diese Erklärung wurde durch die amtliche post-mortem-Untersuchung bestätigt, die ein schon lange bestehendes organisches Leiden nachwies und in Übereinstimmung mit dem Sektionsbefund >Tod durch Herzversagen< steht. Das diagnostizierte chronische Herzleiden kann als ausreichende Erklärung für den Tod angesehen werden. Das ist sehr erfreulich, denn es ist bestimmt von allergrößter Wichtigkeit, daß sich auch Sir Charles' Erbe im Schloß niederläßt und das gute Werk, das auf so tragische Weise unterbrochen wurde, weiterführt. Hätte nicht der prosaische Befund der amtlichen Untersuchung den Gespenstergeschichten, von denen man im Zusammenhang mit diesem Fall munkelte, ein Ende gemacht, so wäre es wohl schwierig geworden, einen neuen Bewohner für Schloß Baskerville zu finden. Wie wir erfahren, ist der nächste Verwandte in der Erbfolge, falls er noch am Leben ist, Mr. Henry Baskerville, der Sohn eines jüngeren Bruders von Sir Charles Baskerville. Der junge Mann war in Amerika, als man zuletzt etwas von ihm hörte, und Nachforschungen nach ihm sind bereits eingeleitet mit der Absicht, ihn von seinem Glück zu unterrichten.« Dr. Mortimer faltete die Zeitung wieder zusammen und steckte sie in die Brusttasche. »Das sind die Tatsachen, Mr. Holmes, die die Öffentlichkeit über den Tod Sir Charles Baskervilles weiß.« »Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet«, sagte Sherlock Holmes, »daß Sie meine Aufmerksamkeit auf einen Fall gelenkt haben, der einige Besonderheiten enthält, die gewiß Interesse verdienen. Ich habe seinerzeit zwar einige Zeitungsartikel darüber verfolgt, aber war damals gerade mit diesem kleinen Fall um die vatikanischen Kameen beschäftigt, und in meinem Eifer, dem Papst einen Gefallen zu tun, sind mir mehrere interessante Fälle in England ganz entgangen. Sie sagten, dieser Artikel enthielte alles, was die Öffentlichkeit weiß?« »Ja, so ist es.« »Dann lassen Sie mich jetzt die geheimen Fakten wissen, die die Öffentlichkeit nicht kennt.« Holmes lehnte sich zurück, hielt wieder seine Hände so, daß die Fingerspitzen sich berührten, und nahm einen völlig leidenschaftslosen, unbeteiligten Ausdruck an, den er in solchen Momenten immer zeigte. »Indem ich das tue«, sagte Dr. Mortimer, der augenscheinlich von einer starken Gemütsbewegung ergriffen wurde, »erzähle ich etwas, das ich bisher noch niemandem anvertraut habe. Ich habe es bei der amtlichen Leichenschau verschwiegen, weil ich als Naturwissenschaftler davor zurückschrecke, mich in eine Lage zu bringen, die scheinbar einem populären Aberglauben Vorschub leistet. Ich hatte außerdem die Befürchtung, daß Schloß Baskerville, wie es die Zeitung schon andeutet, gewiß für lange Zeit leer stehen würde, wenn irgend etwas geschähe, was seinen ohnehin schon üblen Ruf noch verstärkt. Ich glaube, diese beiden Gründe rechtfertigen es, daß ich weniger erzählt habe, als ich wußte, zumal praktisch nichts Gutes dabei herauskommen konnte. Aber hier bei Ihnen sehe ich keinen Grund, weshalb ich nicht vollkommen offen sein sollte. Das Moor ist sehr dünn besiedelt, und die Nachbarn sinddeshalb ganz aufeinander angewiesen. Aus diesem Grunde war ich sehr viel mit Sir Charles Baskerville zusammen. Mit Ausnahme von Mr. Frankland von Lafter Hall und Mr. Stapleton, dem Naturforscher, gibt es keinen gebildeten Menschen im Umkreis von vielen Meilen. Sir Charles lebte sehr zurückgezogen, aber seine Krankheit brachte uns zusammen, und gemeinsame wissenschaftliche Interessen sorgten dafür, daß es zu einem sehr lebhaften Verkehr zwischen uns kam. Aus Südafrika hatte er viel wissenschaftliches Material mitgebracht, und da er ausgezeichnet informiert war, haben wir manchen gemütlichen Abend damit verbracht, die anatomischen Eigentümlichkeiten der Buschmänner mit denen der Hottentotten zu vergleichen und endlos darüber zu diskutieren. In den letzten Monaten wurde es mir immer klarer, daß Sir Charles' Nerven sehr strapaziert waren, ja, daß er vor einem Nervenzusammenbruch stand. Er hatte sich diese Sage, die ich Ihnen vorgelesen habe, sehr zu Herzen genommen - so sehr, daß er zwar auf dem eigenen Grund und Boden noch spazierenging, nichts aber ihn dazu verführen konnte, zur Nachtzeit aufs Moor hinauszugehen. So unglaublich es Ihnen erscheinen mag, Mr. Holmes, er war ehrlich davon überzeugt, daß ein schreckliches Geschick über seiner Familie hing, und gewiß war das, was er von seinen Vorfahren in Erfahrung gebracht hatte, nicht gerade ermutigend. Die Angst vor einem gräßlichen Gespenst verfolgte ihn ständig, so daß er bei mehr als einer Gelegenheit mich gefragt hat, ob ich auf meinen nächtlichen Wegen zu Kranken niemals ein seltsames Wesen gesehen oder das Bellen eines Hundes gehört hätte. Die letztere Frage richtete er mehrmals an mich und immer mit einer Stimme, die vor Aufregung zitterte. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich eines Abends, etwa drei Wochen vor dem fatalen Ereignis, vor seinem Haus vorfuhr. Zufällig stand er gerade draußen vor dem Schloßportal. Ich war von meinem Einspänner abgestiegen und trat zu ihm, als ich sah, wie sich seine Augen auf etwas richteten, was sich hinter mir befand. Mit einem Ausdruck fürchterlichen Entsetzens starrte er über meine Schultern hinweg. Ich fuhr herum und hatte gerade noch Zeit, am Fuße der Auffahrt etwas verschwinden zu sehen, was ich für ein großes schwarzes Kalb hielt. Er war so aufgeregt und erschreckt, daß ich mich gezwungen fühlte, zu der Stelle hinunterzulaufen, wo das Tier gewesen war, und mich nach ihm umzusehen. Es war jedoch verschwunden. Ich blieb den ganzen Abend bei ihm, und es war bei dieser Gelegenheit, daß er mir, um seine Aufregung zu erklären, jenes Dokument zur Aufbewahrung anvertraute, das ich Ihnen als erstes vorgelesen habe. Ich erwähne diese kleine Episode in der Annahme, daß ihr im Zusammenhang mit der Tragödie, die bald darauf folgte, einige Bedeutung zukommt. Aber zu dem Zeitpunkt war ich davon überzeugt, daß die Sache völlig unbedeutend und seine Aufregung durch nichts zu rechtfertigen sei. Zu der Reise nach London entschloß sich Sir Charles auf meinen Rat hin. Ich wußte, daß sein Herz angegriffen war. Die ständige Angespanntheit und Sorge, in der er lebte, mag der Grund dafür auch noch so phantastisch sein, beeinträchtigte offensichtlich ernsthaft seine Gesundheit. Ich dachte, ein paar Monate inmitten der Zerstreuung Londons würden ihm gut tun und ihn frisch und gestärkt zurückkehren lassen. Mr. Stapleton, ein gemeinsamer Freund, der sich große Sorgen um seinen Gesundheitszustand machte, war der gleichen Ansicht. Im letzten Augenblick vor der Reise traf ihn der furchtbare Schicksalsschlag. Noch in der Nacht von Sir Charles' Tod schickte Barrymore, der Butler, der den Leichnam fand, den Reitknecht Perkins zu Pferde zu mir. Da ich noch auf war, war es mir möglich, Schloß Baskerville eine Stunde nach dem Geschehen zu erreichen. Alle Einzelheiten, die bei der amtlichen Untersuchung eine Rolle gespielt haben, habe ich überprüft und kann ich bestätigen. Ich folgte den Fußspuren die Taxusallee hinunter. Ich sah die Stelle beim Pförtchen zum Moor, wo er sich eine Weile aufgehalten hat. Ich bemerkte ebenfalls, daß sich die Fußspuren von dieser Stelle ab verändert hatten, und habe darauf geachtet, ob es auf dem Kiesweg noch andere Fußspuren außer denen von Barrymore gab. Ich konnte keine weiteren Spuren feststellen. Schließlich untersuchte ich sorgfältig die Leiche, die bis zu meiner Ankunft nicht angerührt worden war. Sir Charles lag auf demGesicht, die Arme ausgestreckt, die Finger ins Erdreich gekrallt, und seine Züge waren dermaßen verzerrt, daß ich ihn kaum wiedererkannte. Eine körperliche Verletzung irgendwelcher Art war mit Sicherheit auszuschließen. Aber eine falsche Aussage hat Barrymore bei der amtlichen Untersuchung gemacht. Er sagte, es seien auf dem Boden um den Leichnam herum keinerlei Spuren zu entdecken gewesen. Er hat keine bemerkt, aber ich - nur ein kleines Stückchen entfernt, und frisch und deutlich.« »Fußspuren?« »Fußspuren.« »Von einem Mann oder einer Frau?« Dr. Mortimer sah uns einen Augenblick mit einem seltsamen Ausdruck an, und seine Stimme sank fast zum Flüsterton herab, als er antwortete: »Mr. Holmes, es waren die Spuren eines riesigen Hundes!«
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